© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Ein Reaktionär zum Anfassen
Colloquium über Nicolás Gómez Dávila in Berlin
Erik Lehnert

Als vor zwanzig Jahren im Karolinger Verlag (Wien) unter dem Titel "Einsamkeiten" die erste deutsche Auswahl aus dem Werk des Kolumbianers erschien, war nicht abzusehen, daß Dávila nicht einsam bleiben würde. Doch vor allem in Deutschland hat er mittlerweile viele Leser gefunden, und mehr als einhundert davon kamen zu einem Kolloquium am Instituto Cervantes.

Der Organisator der Veranstaltung, Peter Schultze-Kraft, betonte in seiner Einführung die Verständnisschwierigkeiten, die das Wort "Reaktionär" bereite, mit dem sich Dávila selbst charakterisierte. Ohne Kenntnis des ganzen Werkes könne kein Urteil erlaubt sein. Reaktionär sein bedeute, dem politischen Spektrum gegenüberzustehen, nicht sich darin zu verorten.

Fest stünden, so der Philosoph Franco Volpi (Venedig) in seinem Vortrag, in Dávilas mehrere tausend Aphorismen umfassenden Werk der Glaube an Gott, das Mißtrauen dem Menschen gegenüber, das Festhalten am Katholizismus und die Hochschätzung des Stils. So sei es das "Lob der erotischen Unvernunft", das Dávila laut Volpi auszeichne. Die "vollkommene Lust" bedeute ihm die "vollkommene Erkenntnis", die es im Zeitalter der Mittelmäßigkeit nicht mehr geben könne. Vielleicht empfahl Volpi Dávila dann als "Nachttischlektüre", um ihm endgültig seine Anstößigkeit zu nehmen. Carlos B. Gutiérrez (Bogotá) ging in seinem Vortrag auf den heute kritisch beäugten Teil von Dávilas Denken ein: die Demokratiekritik, die er mit der Nietzsches verglich und gleichsam mit den politischen Zuständen in Kolumbien entschuldigte. So gelang es ihm nicht, die tatsächlichen Probleme, die beide sahen, in den Mittelpunkt zu stellen: die Moralisierung und Sakralisierung der Demokratie.

Bedauerlich ist, daß bei der Podiumsdiskussion kein deutscher Dávila-Kenner anwesend war, nachdem die Teilnahme Till Kinzels, der die einzige Einführung in Dávilas Werk verfaßt hat, abgesagt wurde. Offenbar folgten die Veranstalter damit den Empfehlungen der orthodoxen Marxisten der Jungen Welt, die meinten, Dávila als "Nazi" outen zu müssen. Als einziger emphatischer, nicht-verharmlosender Bezug zu Dávila blieb so nur die Lesung einiger unveröffentlichter Adnoten des Dramatikers Botho Strauß, die Zeugnis dafür ablegten, daß es auch heute noch möglich ist, sich von einem Satz überwältigen zu lassen. Wenn diese Einsicht bleibt, hätte die Veranstaltung mehr erreicht, als zu hoffen war.


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