© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Wir sind alle Ausländer
Sozialwissenschaft anno 2007: Es gibt weder Fremde noch Parallelgesellschaften - behauptet einer, der es als sudetendeutscher "Migrant" wissen muß
Oliver Busch

Man darf sich natürlich über Politiker wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier beklagen, wenn ihnen zum Thema "Multikulturalismus" nicht mehr einfällt als ein Bekenntnis zu "Pizza und Bratkartoffeln" (JF 50/07). Aber man sollte doch nicht ignorieren, daß es bei solchen Tröpfen selten dafür reicht, derart demagogische Einfältigkeiten selbst zu produzieren. Hierfür benötigen sie "wissenschaftliche" Stichwortgeber.

Die müssen nicht immer Wilhelm Heitmeyer oder Christoph Butterwegge heißen. Legionen bundesdeutscher Sozialwissenschaftler bieten Politikberatung an. Unter ihnen Wolfgang Kaschuba, geboren 1950 in Göppingen, Volkskundler, Professor für Ethnologie an der Berliner Humboldt-Universität. Kaschuba referierte 2006 in Amsterdam über "Ethnische Parallelgesellschaften?", ein Vortrag über die "kulturelle Konstruktion des Fremden", den er nun dem deutschen Fachpublikum offeriert (Zeitschrift für Volkskunde, 1/07). Er bietet ein selten pralles Konzentrat bundesdeutscher Lebenslügen und Realitätsverweigerungen. 

Die Rede von der "Konstruktion des Fremden" signalisiert, worauf es hinausläuft: Fremde gibt es eigentlich gar nicht. Das ist die Variation des Bauernfängerrefrains: "Wir sind alle Ausländer". Dies untermauert Kaschuba autobiographisch. "Mitten im schwäbischen Württemberg" aufgewachsen als Sprößling sudetendeutscher Heimatvertriebener, dürfe auch er sich "Migrant" nennen. Eigentlich habe es hierzulande ab 1945 nämlich nur "Migranten" gegeben, die "nach Deutschland zugewandert" seien. Selbstredend sind für ihn die, die aus Königsberg oder Breslau - mithin aus Deutschland - kamen, "nach Deutschland zugewandert". Auch Kriegsheimkehrer oder DDR-Flüchtlinge - alles "Migranten". Nur der an der "Krankheit des Homogenitäts- bzw. Differenz-Bazillus" leidende "Stammtisch" mit seiner "neurotisch zu nennenden Sehnsucht nach kultureller Einheitlichkeit" will bis heute nicht davon lassen, dieses "Einwanderungsland" zu "vergemeinschaften".

Haben wir es von jeher mit verschiedenen "kulturellen Praxen" zu tun, dann besteht aktuell kein Anlaß, von "Parallelgesellschaften" zu sprechen, wenn muslimische Migranten ihre "europäischen Grundrechte" auf eigene Identität einfordern. Sie würden einzig ihr legitimes "Anderes" reklamieren, und dies sei eben ein "europäisches Anderes". Zwischen Migrantenmilieus und "Mehrheitsgesellschaft" gebe es so viele "Verbindungen und Übergänge" wie innerhalb der Mehrheit "Differenzen". Das Projekt "multikulturelle Gesellschaft" sei also nur "vermeintlich" mißlungen.

Nachdem Kaschuba, der als "Kreuzberger" so genügsam ist, Dönerbuden und weibliche "Pinguine" (Ralph Gior­dano) mit "kultureller Vielfalt" zu verwechseln, bewiesen zu haben glaubt, islamische Migranten seien Teil der "offenen Lebenswelten" Europas, beschleicht ihn Unruhe. Weil er nicht zum "multikulturellen Gutmenschentum" gezählt werden möchte. Widerwillig räumt er darum ein, daß der zunächst als "angeblich" fremde Religion verniedlichte Islam sich nicht ins europäisch "Offene" einfügen könnte. Daß Muslime doch vielleicht fremdere "Fremde" sind als "Zuwanderer" aus dem Sudetenland. Obwohl Kaschuba hier noch weiter störrisch nach Ausreden sucht: Bei solcher "Differenz" handle es sich um kulturelle Ungleichzeitigkeiten, um "Selbst-Orientalisierung" infolge unzureichender "Sozialangebote". Und seine bizarre Statistik wirft "mehr Neonazi-Morde als Ehren-Morde" aus.

Es führt aber endlich kein Weg am verdrucksten Eingeständnis vorbei, religiös vermittelte Wertehorizonte hätten inzwischen wohl "Unvereinbarkeiten" geschaffen, "Lebensentwürfe jenseits" der offenen Gesellschaft. Plötzlich zitiert er die türkische Soziologin Necla Kelek mit ihrer Warnung, es sei sentimental anzunehmen, alle Kulturen würden auf denselben Werten fußen. Zum fundamentalistischen Islam seien daher "Übergänge" unmöglich, er ordne sich in die "Vielfalt" nicht ein.

Wer glaubt, Kaschuba bereitet hier seine Rückkehr zur Erde vor, irrt. Trotzig doziert er am Schluß: die "überwiegende Mehrheit der europäischen Muslime" wolle ein "Leben in der Zivilgesellschaft". Nur die Rede von der "Parallelgesellschaft" aus dem Geist des "nationalistischen Kulturfundamentalismus" mache aus weltoffenen Migranten "Gotteskrieger". Keine Frage: Kaschuba wäre für das Sangesduo Steinmeier&Muhabbet eine echte "Bereicherung".


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