© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/07-01/08 21./28. Dezember 2007

Preußen in sechs Generationen widergespiegelt
In einer aufwendigen Familiengeschichte beschreibt Christoph Wehnelt authentisch Repräsentanten eines preußischen Bildungsbürgertums
Klaus Hornung

Preußen war viel differenzierter und weit weniger monochrom, als seine schwarz-weißen Wappenfarben nahelegen mögen und nicht wenige seiner Bewunderer wie auch seiner Feinde meinen. Das wird auch deutlich in der vorliegenden, über sechs Generationen reichenden Familiengeschichte, die zweihundert Jahre preußischer Geschichte von Friedrich dem Großen bis zur Katastrophe des Zweiten Weltkriegs im Prisma einer kulturbürgerlichen Großfamilie darstellt.

Es waren alles überdurchschnittlich tüchtige Leute in Kirche, Wissenschaft und Militär, die hier in dokumentarischen Texten und einfühlsamen Kommentaren zum Leben erweckt werden und denen es um protestantische Glaubensverkündigung, Wissenschaft, Bil-dungsvermittlung und Sozialverantwortung ging. Die Generationskette reicht von dem Pfarrer Johann Christian Gottfried Dressel, Zeitgenosse des großen Königs, bis zu General Walther Wenck als Führer der legendären 12. Armee, die in der Vorstellung des wirklichkeitsentrückten Hitler im April 1945 das eingeschlossene Berlin befreien sollte und dadurch in die Militärgeschichte einging. Dressel, Pfarrer in "Charlottenburg bei Berlin", ist mit Predigten zum Tod Friedrichs II. und Friedrich Wilhelms II. sowie zum Baseler Frieden von 1795 sowie mit einem lebendigen Bericht über eine Reise mit dem Einspänner von Berlin nach Halle und bis an die fränkische Grenze vertreten.

Es folgen Lebenszeugnisse wissenschaftlicher Koryphäen der Familie wie des Königsberger Zoologen Max Braun, Wal- und Vogelforscher, der bis zu den Faröern und Island reiste und zum Retter der Vogelwarte Rossitten wurde. Sein Sohn war der Philosophieprofessor Otto Braun, ein Schüler des Nobelpreisträgers Rudolf Eucken und selbst Repräsentant der Philosophie des späten deutschen Idealismus, zuletzt auf Nietzsches Lehrstuhl in Basel. Seine Frau Nora schrieb Gedichte und Erzählungen. Ein Wehnelt arbeitete später in der Elektrotechnik und Elektronik und entwickelte den Wehnelt-Zylinder als wesentlichen Teil der Braunschen Röhre, die 1935 den Beginn des Fernsehzeitalters ermöglichte. Der Biologe und Naturphilosoph Bruno Wehnelt schrieb eine "Pflanzenpathologie der deutschen Romantik". Der Clan nahm wesentlichen Anteil an der Hochblüte deutscher Wissenschaft und Technik und ihrer internationalen Anerkennung in der wilhelminischen Ära, deren politische Repräsentanten freilich diese Blüte nicht dauerhaft zu sichern vermochten.

Die Nachfahrin Annelie Burger-Wehnelt faßt im Vorwort Absicht und Ertrag des Bandes zusammen und schreibt: "Sechs Generationen preußischer Bürger bauten mit am Königreich Preußen, an seiner Entfaltung zur europäischen Mittelmacht, am Kaiserreich, am Führerstaat, aber auch an den Fundamenten der Bundesrepublik. Sie zogen tapfer in die Kriege. Einer wurde von Friedrich dem Großen geadelt. Andere nahmen an den Befreiungskriegen teil, waren 1871 in Paris zur Kaiserproklamation oder standen wie Panzergeneral Walther Wenck an sehr prominenter Stelle im Endkampf bei der deutschen Katastrophe von 1945. Gleichzeitig wurde sein Schwager, Kanonier Bruno Wehnelt, bei Pibtans von tschechischen Partisanen aufgegriffen."

Aus den Schriften der Vorväter und mit seinen Kommentaren gestaltete der Verfasser diesen schön ausgestatteten Band samt Kupferstichen, Öl- und Pastellbildreproduktionen und alten Fotos, der mit Erinnerungen des Vaters an seine Berliner Jugendjahre, den alliierten Bombenterror und anrührenden Briefen aus dem letzten Kriegsjahr schließt, jenes Kanoniers Wehnelt, der noch nach dem Waffenstillstand dem Kolbenschlag eines Rotarmisten zum Opfer fällt - insgesamt das Muster einer dokumentierten Familiengeschichte in ihrer Verwobenheit mit der Geschichte des Ganzen, des Gemeinwesens in zweihundert Jahren. Wenn er einen Wunsch offenläßt, dann den nach einer genealogischen Übersicht und einer kleinen Bibliographie der wichtigsten Publikationen der Vorfahren.

Christoph Wehnelt: Der Preußen-Clan. Geschichte, Geist und Katastrophen. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg 2007, gebunden, 350 Seiten, Abbildungen, 24 Euro


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