© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/08 04. Januar 2008

Die Deutschen sehen ihr Land als Weltmacht
Außenpolitik: Eine internationale Studie der Bertelsmann-Stiftung offenbart ein überraschendes Selbstbewußtsein / Parallelen zu Großbritannien
Fabian Schmidt-Ahmad

Sollte jemand die Stimmung im Deutschland der vergangenen Jahre charakterisieren, so würde er wahrscheinlich den Pessimismus als deutsches Lebensgefühl nennen. Dem steht allerdings eine erstaunlich selbstbewußte Eigeneinschätzung der Deutschen gegenüber. Immerhin die Hälfte von ihnen sieht ihr Land gegenwärtig als Weltmacht an, wie jetzt aus einer internationalen Vergleichsstudie der Bertelsmann-Stiftung deutlich wurde. Auch von Zukunftsängsten ist nichts zu spüren. Denn für das Jahr 2020 vermuten noch 46 Prozent der Befragten Deutschland unter den führenden Mächten.

Eine Einschätzung, die im Ausland allerdings nur von Minderheiten geteilt wird. Im Durchschnitt mit acht weiteren OECD-Ländern bewerten gerade einmal 30 beziehungsweise 25 Prozent Deutschland mit dem Status einer Weltmacht. Mit einer Ausnahme - Großbritannien. Lediglich hier spricht die Bevölkerung Deutschland eine ähnlich hohe Bedeutung zu, die sogar mit jeweils einem Prozentpunkt leicht darüber liegt. Überhaupt scheinen die europäische Mitte und die Insel einander in der politischen Wahrnehmung zu ähneln. So betrachten etwa rund zwei Drittel der jeweiligen Bevölkerung die Uno und die EU gegenwärtig als Weltmächte. Ein hoher Wert, der anderswo, auch im EU-Land Frankreich nicht einmal annähernd erreichen.

Doch es gibt auch deutliche Unterschiede, die bereits bei der Frage beginnen, was überhaupt eine Weltmacht ausmacht. Vor die Frage gestellt, was die drei wichtigsten Eigenschaften einer solchen seien, wählten die Deutschen mit 70 Prozent "Politische Stabilität" als bedeutendsten Faktor. (Im Gegensatz zu Großbritannien mit 44 Prozent.)

Geringschätzung militärischer Macht

Nur noch die Bevölkerung Chinas legte auf diese einen ebenso hohen Wert. Allerdings scheinen beide darunter etwas Unterschiedliches zu verstehen. Denn während die Deutschen mit nur elf Prozent der "militärischen Macht" als Machtfaktor für sich die geringste Bedeutung zumaßen, so bewerteten sie die Chinesen mit 59 Prozent. Beides auch im internationalen Vergleich Extremwerte.

Einzigartig steht Deutschland in seiner Bewertung Rußlands da. Rund 70 Prozent werten das Land sowohl gegenwärtig als auch im Jahr 2020 als eine Großmacht. (Die nächsthöheren Werte kommen wieder von Großbritannien.) Eine Einschätzung, die allerdings nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Interessant ist dabei, die aktuelle Untersuchung mit einer Bertelsmann-Studie von 2005 zu vergleichen. Damals zählten sich noch 45 Prozent der Russen gegenwärtig und 42 Prozent in Zukunft als Weltmacht. Heute dagegen schauen sie mit jeweils rund 60 Prozent auf das gestiegene Ansehen ihres Landes.

Ein ganz beachtlicher Zuwachs an Selbstbewußtsein, der eindeutig auf Kosten des Ansehens anderer Länder ging. Allen voran der Vereinigten Staaten, aber auch des kleinen, nahegelegenen Deutschland. Gerade einmal jeder vierte Russe will Deutschland jetzt noch den Status einer Weltmacht zusprechen, für die Zukunft sind es sogar nur noch 16 Prozent. Eine vielleicht nicht ganz unproblematische Konstellation, da den europäischen Ländern allmählich ihre Abhängigkeit vom größten Flächenstaat der Welt bewußt wird.

Die Studie im Internet: www.bertelsmann-stiftung.de


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