© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

Jugendgewalt
Auch eine Konsequenz von '68
Dieter Stein

Als großer Joker in der frisch entflammten Debatte um Jugendkriminalität ist die Idee von "Jugendcamps" aufgetaucht. Aus Angst, den Begriff "Lager" in den Mund zu nehmen, weicht man auf die  locker-flockige amerikanische Entsprechung aus. Damit liegt man auf alle Fälle im Trend der Zeit.

Als skeptischer Konservativer und Freund freiheitlicher Staatsauffassung ist man zurückhaltend, was die Wirkung staatlicher Erziehungsbemühungen angeht - wenn sie nicht gerade in den Händen eines solch prächtigen Staatswesens wie des aufgeklärt preußischen ruhten. Heute tendieren die Erwartungen an die Erziehungswirkung staatlicher Anstalten gegen Null.

In der Phase des Aufstiegs Deutschlands gab es einen von kultureller Elite über Kirchen bis zum Dorfschullehrer und Bürger mitgetragenen Enthusiasmus für Volksbildung und Erziehung. Aus einem Volk von Bauern und Analphabeten wurde eine um den Erdball herum als vorbildlich bewunderte Nation. Von den zwischen 1806 (preußische Reformen) und 1914 gelegten Fundamenten zehren wir noch heute.

Beängstigend ist der Verfall öffentlicher Ordnung. Eine Atmosphäre, in der Bürger mannhaft zupacken, wenn Halbstarke oder Kinder über die Stränge schlagen, findet man immer seltener. Weil sich der gesellschaftliche Konsens über öffentlich gelebte und durchgesetzte Autorität in der Folge der 68er-Kulturrevolution aufgelöst hat und weil diejenigen, die sich als "Einheimische" fühlen und damit die Ordnung ihrer Umgebung repräsentieren und pflichtgemäß zu schützen hätten - auch wenn Polizei nicht anwesend ist -, in den expandierenden ethnischen Brennpunkten in die Minderzahl geraten. Selbst öffentlich Bedienstete in Bussen und U-Bahnen können sich keinen Respekt mehr verschaffen. Allein in Berlin sollen 2006 in öffentlichen Verkehrsmitteln 22.381 Straftaten gezählt worden sein. 1.600 Menschen wurden verletzt, darunter häufig Busfahrer und Bahnangestellte.

Und der Rechtsstaat reagiert zahnlos: In Frankfurt ließ die Staatsanwaltschaft Anfang der Woche sieben gemeingefährliche Ausländer nach der Festnahme wieder laufen, die einen Lokführer krankenhausreif geschlagen hatten, weil dieser sie zu ordentlichem Benehmen ermahnt hatte. Er wird es wohl nicht wieder tun. Ein Busfahrer, der nicht einschreitet, als neben ihm fünf junge Ausländer einen Fahrplanständer demolieren, zitiert ein Boulevardblatt: "Was soll ich machen? Man weiß doch, was passiert. Mein Kollege wurde von einem 16jährigen verprügelt, weil der schwarzfuhr. Muß man sich mal vorstellen."

Die alltägliche Laschheit, Inkonsequenz, Autoritätslosigkeit der deutschen Gesellschaft, noch dazu der Verlust an Ehrgefühl, Religion, Sitte und Nationalstolz reizen die nach Orientierung, Identität, Zucht gierenden jungen Männer zusätzlich. Diese Hypothek der 68er und ihrer Nachfolger, die sich in ihren Villenvierteln sicher fühlen und ihre Kinder auf Privatschulen schicken, gehört im Jubiläumsjahr der Kulturrevolution auf die Tagesordnung.

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