© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

Unsere Einflußmöglichkeiten sind beschränkt
Pakistan II: Ungeachtet des dortigen Wahlausgangs sollten die USA ihre engen Verbindungen zum pakistanischen Militär pflegen
Patrick J. Buchanan

Die Dinge sitzen im Sattel und reiten die Menschheit." An diese Zeilen des amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson (1803-1882) mußte man unwillkürlich denken, als das neue Jahr mit gesellschaftlichem und politischem Chaos im weltweit größtem muslimischen Land Pakistan begann.

Nach dem im zweiten Anlauf erfolgreichen Mordanschlag auf Ex-Ministerpräsidentin Benazir Bhutto, die am 18. Oktober 2007 auf Drängen des Weißen Hauses nach acht Jahren aus dem Exil heimgekehrt war, um gemeinsam mit Präsident Pervez Musharraf eine anti-islamische Koalition aufzubauen, zeichnet sich dort die Entstehung eines gescheiterten Staates mit Atomwaffen ab.

Inzwischen wurde Bhuttos 19jähriger Sohn Bilawal, der den Großteil seines Lebens im Ausland verbrachte, zum Chef ihrer Pakistanische Volkspartei (PPP) erklärt, er wird aber sein Studium an der englischen Universität Oxford fortsetzen. Ihr Witwer Asif Ali Zardari, bislang vor allem als der Spendensammler der Familie Bhutto bekannt, spielt nun den Regenten und beschimpft die Musharraf nahestehende Pakistanische Muslimliga als "Mörderliga". Er rief die Bevölkerung auf, Musharraf eine klare Absage zu erteilen und Bhuttos Partei zur Macht zu verhelfen - in ihrem Gedenken.

Der den Islamisten nahestehende Nawaz Sharif, wie Bhutto zweimaliger ehemaliger Ministerpräsident und 1998 verantwortlich für Pakistans erste Atombombentests, der ebenfalls wie sie wegen Korruptionsvorwürfen geschaßt wurde und von Musharraf gehaßt wird, kündigte zunächst einen Wahlboykott an, falls der ursprüngliche Termin eingehalten würde. Später machte seine Partei jedoch eine Kehrtwende, denn auch Sharif will Musharraf baldmöglichst loswerden, um selber an die Macht zu gelangen.

Musharraf stand so oder so auf verlorenem Posten: Bei einer Verschiebung der Wahlen oder Zweifel an ihrer freien und fairen Durchführung drohten noch schlimmere Ausschreitungen. Hätte er den Wahltermin nicht verschoben, wäre er höchstwahrscheinlich als Verlierer daraus hervorgegangen.

Diese Ereignisse zeigen die Unfähigkeit, wenn nicht sogar die Ohnmacht der USA, das von ihnen gewünschte Wahlergebnis in einem Staat zu gewährleisten, dessen Unterstützung unverzichtbar ist. Ohne sie liefen wir ernsthaft Gefahr, den in sein siebtes Jahr gehenden Afghanistan-Krieg zu verlieren.

Zudem beweisen die Reaktionen einiger US-Präsidentschaftsanwärter im Vorwahlkampf, daß ihnen die notwendige Reife fehlt, dieses Land - geschweige denn Pakistan - zu regieren. Die US-Demokratin Hillary Clinton etwa deutete an, Musharraf könnte durch einen Putsch gestürzt werden, und verlangte, er müsse sich vor einer unabhängigen Untersuchungskommission zu dem Attentat verantworten.

Indes schlug die demokratische Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi vor, die Fortsetzung der US-Finanzhilfe nach Pakistan von der Einsetzung einer solchen Kommission abhängig zu machen. Außerdem müsse das Weiße Haus sicherstellen, daß die Wahlen in Pakistan am 18. Februar "frei und fair" verlaufen. Vielleicht werden die Pakistanis im Gegenzug auf der Entsendung von Wahlbeobachtern nach Florida und Ohio bestehen, wenn am 4. November der neue US-Präsident gewählt wird.

Doch wissen wir, wer Musharrafs Nachfolger würde, sollte er zurücktreten? Und wenn die Wahlen schließlich stattfinden - sind wir dann bereit, ihr Ergebnis zu akzeptieren?

Immerhin geht es um ein Land, dessen Grenzgebiete zu Afghanistan von einer Koalition muslimischer Parteien regiert werden, die als Taliban-Sympathisanten gelten. Grenznahe Stammesgebiete bieten Mitgliedern der Taliban, womöglich sogar Osama bin Laden höchstselbst Zuflucht. Pakistans Militär und Geheimdienste bestehen teilweise aus Islamisten. Bin Laden oder der Vater des pakistanischen Atomwaffenprogramms, Abdalkadir Chan, genießen in der Bevölkerung weit höhere Popularität als Musharraf oder George W. Bush. Der Verlust Pakistans als Verbündeten im Krieg gegen al-Qaida und die Taliban würde die Niederlage im Afghanistan-Krieg bedeuten.

Aus den letzten Wahlen im Nahen und Mittleren Osten - die zumeist auf Bushs Drängen stattfanden - gingen Hamas, die Hisbollah, die Muslimbruderschaft, Moktada al-Sadr und Mahmud Ahmadi-Nedschad als Sieger hervor. Die primären US-Interessen in Pakistan bestehen gegenwärtig darin, daß seine Atomwaffen in sicherer Freundeshand bleiben und daß auf das Land im Krieg gegen al-Qaida weiterhin Verlaß ist. Ungeachtet des dortigen Wahlausgangs sollten die USA ihre engen Verbindungen zum pakistanischen Militär hegen und pflegen. Schließlich riet schon der römische Kaiser Septimus Severus seinen Söhnen auf seinem Sterbebett: "Bezahlt die Soldaten. Alle anderen sind unwichtig."

Darüber hinaus ist jedoch eine langfristige Strategie dringend vonnöten. Ganz offensichtlich ist der Haß auf die USA in Pakistan so groß, daß jede politische Führungsfigur, die wie Bhutto als unser Freund und Verbündeter gilt, sich ständig in Lebensgefahr befindet. Auch auf Musharraf sind schon wiederholt Attentate geplant worden.

Überdies sind unsere Einflußmöglichkeiten auf die dortigen Ereignisse äußerst beschränkt. Was bedeutet Demokratie in einem Land mit einer 60prozentigen Analphabetenrate und Parteien, die als Familienpfründen oder politische Werkzeuge religiöser Extremisten mißbraucht werden? Schon der große konservative Vordenker Edmund Burke (1729-1797) mahnte an: "Es ist in der ewigen Verfassung der Dinge angelegt, daß Menschen mit ungezügeltem Geist nicht frei sein können. Die Leidenschaften schmieden ihre Fesseln."

Wir müssen uns einige schwierige Fragen stellen. Hat das Blut, das wir in Afghanistan und im Irak vergossen haben, haben die Hunderte von Milliarden Dollar, die wir für diese Kriege sowie für Finanzspritzen ins Ausland aufgewendet haben, den USA mehr Sicherheit verschafft? Haben sie uns mehr Freunde als Feinde eingebracht? Wie die Ereignisse vom Neujahrstag in Anbar zeigen, sind die Einheimischen womöglich sogar unseren US-Soldaten im Kampf gegen al-Qaida überlegen. Rußland, China, Indien und Japan liegen näher dran an Pakistan als wir. Dennoch hält es keiner dieser Staaten für notwendig, sich so tief in dessen interne Affären einzumischen wie die USA.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".

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