© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

Verzweifelter Unterton
Vierzig Jahre nach '68: Die Endzeit der DDR läßt grüßen
Doris Neujahr

Kurz vor Anbruch des 40. Jubiläumsjahres haben sich die Publizistin und Pädagogin Katharina Rutschky (Jahrgang 1941) und der Historiker Götz Aly (geboren 1947) für die taz zu einem Streitgespräch über das Jahr 1968 zusammengesetzt (Ausgabe vom 29./30. Dezember 2007). Für beide bedeutet 1968 ein entscheidendes Datum in ihrer Biographie. Beide bekennen sich dazu, damals Teil der Bewegung gewesen zu sein. Ihre heutige Sicht darauf ist allerdings grundverschieden.

Während Rutschky ("Ich vertrete '68, und zwar den Großteil der Bewegung") das Friede-Freude-Eierkuchen-Lied anstimmt von der "Demokratisierung", der "Liberalisierung" und der heilsamen Vergangenheitsbewältigung, die 1968 begonnen hätten, zeichnet Aly ein differenziertes, in der Summe überaus kritisches Bild von dem glorreichen Jahr und seinen Folgen. Brünstige junge Männer hätten einen "Tanz auf dem Affenfelsen" vollführt, statt demokratisch sei es geradezu faschistoid zugegangen. Ja, die Studenten hätten sich "in die Spurrillen unserer Dreiunddreißiger-Eltern (begeben), die ja auch schon eine Studentenbewegung ins Werk gesetzt hatten, die mit ähnlichen Methoden operiert hatten". Die NS-Vergangenheit sei doch bloß ein Vorwand gewesen, um gegen den Staat zu rebellieren, ihn zu delegitimieren. Gleichzeitig aber habe man den Massenmörder Mao hochleben lassen.

Auf Rutschkys Einwand, von dessen Verbrechen habe man nichts gewußt, erwidert Aly sinngemäß: Weil man davon nichts habe wissen wollen! Es sei schon damals viel über die Verbrechen Maos publiziert worden, und zwar von Professoren, die man als Reaktionäre bekämpft habe, deren Niveau jedoch weit über dem der "Discountprofessoren" gelegen habe, die später von den 68ern in die Ämter gehievt worden seien. Und wie sei das eigentlich mit dem Vorwurf an die eigene Elterngeneration gewesen, sie hätte über die NS-Verbrechen Bescheid wissen müssen? Die "Befreiungsschriften" von 1968ff. inklusive die über die "Kinderläden" seien "Müll, unerträglich", "kein vernünftiger Satz" stehe darin usw. usf.

Die so als Müllproduzentin abqualifizierte Reformpädagogin Rutschky hatte Aly intellektuell nicht viel entgegenzusetzen. 1968 war sie sich sicher gewesen: "Uns gehört die Zukunft. Jetzt sind wir dran", heute pflegt sie die Rechthaberei und aggressive Weinerlichkeit, in die sich der Unterton der Verzweiflung mischt. Dieser Ton ist aus der DDR-Wendezeit wohlbekannt, als in die Jahre gekommene SED-Anhänger klagten: "Es kann doch nicht alles umsonst gewesen sein - unser ganzes Leben."

Fast ist man geneigt, für Rutschky und Genossen Bedauern statt Zorn zu empfinden. Wo können sie denn noch einen Halt finden, wenn ihr eigenes Selbst, an dessen Verwirklichung sie ihre besten Jahre gesetzt haben, sich als ein gigantischer Illusionstrick herausstellt?

Nicht einmal auf ein würdiges Großmutterdasein kann Rutschky sich zurückziehen. Das 68er-Motto: Das Politische ist privat, und das Private ist politisch, hat zu (selbst-)zerstörerischen Konsequenzen geführt. Die Politik verkam zur Bühne für narzißtische Befindlichkeiten und das Private zum Resonanzraum dessen, was man für politisch hielt. In einem Artikel für die Welt vom 26. März 2006 hatte Rutschky einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Reproduktionsverweigerung in ihrer Generation und der NS-Vergangenheit hergestellt. Sie erinnere sich "sehr genau an (ihre) Reaktion, als (sie) die ersten Fotos aus einem KZ sah: Eine Welt, in der so etwas möglich ist, ist nicht lebenswert."

Die brutale Konfrontation mit dem eigenen Scheitern führte 1989/90 bei vielen DDR-Bürgern der Generation 55 Plus zu Selbstmorden, psychosomatischen Zusammenbrüchen und Kreislaufkollapsen, zu einer Epidemie von Krebserkrankungen. Die Generation von 1968 ist also gewarnt, und sie macht ernst mit dieser Warnung aus der deutschen Geschichte. Über ihre Entschlossenheit, die einmal errungene Interpretationshoheit, die eigenen Posten und Mythen zu verteidigen und die Spanische Wand, hinter der die Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit lauert, aufrechtzuerhalten, selbst wenn das Land darüber zugrunde geht, kann kein Zweifel bestehen. Ihre Entschlossenheit gleicht dem 1945er-Furor der "verbrannten Erde", der wiederum in den "Spurrillen" (Aly) von 1933 liegt, das 1968 eine versteckte, noch zu klärende Wiederkehr erlebte.

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