© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

Ihn zu lesen, ist immer ein Vergnügen
Keine Angst vor dem Ernstfall / Teil II: Günter Maschkes Arbeiten zu Carl Schmitt sind Lehrstücke an Präzision, Strenge und Sorgfalt
Alain de Benoist

Die Carl-Schmitt-Forschung erlebt gerade eine Blütezeit. Seine Werke wurden bislang in über 25 Sprachen übersetzt, und seit seinem Tod 1985 sind ihm mehrere hundert Bücher, Sonderhefte von Fachblättern und wissenschaftliche Forschungsarbeiten sowie Tausende von Aufsätzen in Zeitungen und Zeitschriften gewidmet worden.

Daß Schmitts Denken nichts an Aktualität verloren hat, zeigt sich immer deutlicher. Trotz aller Vorbehalte gegen sein Werk liest man in letzter Zeit immer wieder, wie sehr die großen Fragestellungen, die Schmitt zeit seines Lebens beschäftigten, die heutige Tagespolitik bestimmen. Im besonderen gilt dies seit dem 11. September 2001. Die Entwicklung des "globalen Terrorismus" hat zahlreiche Debatten über die Schmittsche Figur des Partisanen ausgelöst. Die zunehmende Beschneidung der bürgerlichen Freiheiten im Namen der "Sicherheit" durch die westlichen Mächte führt zum "permanenten Ausnahmezustand" (Giorgio Agamben) und läßt Schmitts Studien nachgerade zur Pflichtlektüre werden. Dieser theoretisiert den Ausnahmezustand als eine Situation, in der die Außerkraftsetzung der gewöhnlich gültigen rechtlichen Regelungen neue Entscheidungsträger hervorbringt.

Was Schmitt über den "gerechten Krieg" schreibt und darüber, wie dieser im Namen eines moralischen Prinzips (justa causa) geführte Krieg unweigerlich zur Kriminalisierung des Feindes und zu einer Eskalation führt, die dann kein Ende mehr findet - all dies veranschaulicht die jüngste Entwicklung des Völkerrechts mit der Rückkehr zum (nun mit dem Appell an die Menschenrechte legitimierten) Angriffskrieg durch die Hintertür der  "humanitären Intervention".

Nicht zuletzt zeigen die Diskussionen um Geopolitik und die derzeitige ungeteilte Herrschaft der Supermacht USA ebenso wie die Schwierigkeiten, auf die eine europäische Einigung stößt, die von Anfang an ein Unternehmen wider den gesunden Menschenverstand war, wie unvermindert relevant Schmitts Arbeiten über das "Großraumdenken" bleiben. Dieser mahnte immer wieder, daß die  politische Wirklichkeit zwangsläufig eine multipolare Welt (ein Multiversum) ist. Denn eine monopolare politische Welt (ein Universum) birgt einen inneren Widerspruch, der nur zum allgemeinen Bürgerkrieg führen kann.

Unter den zahlreichen Autoren, die sich weltweit für Carl Schmitt interessieren (neuerdings gilt es sogar in China als schick, ihn zu lesen!), gibt es so gut wie niemanden - erst recht nicht in Deutschland -, der es an Detailkenntnis des Schmittschen Œuvre mit Günter Maschke aufnehmen könnte.

Seit Anfang der siebziger Jahre hat sich Maschke unermüdlich mit Schmitts Lehre sowie mit dessen Einflüssen, Denkern wie dem Franzosen Joseph de Maistre oder dem Spanier Juan Donoso Cortés, befaßt. Ab 1978 bis zu Schmitts Tod trafen sich beide Männer mehrmals.

Maschkes erster Aufsatz zu Schmitt erschien 1973 in der Frankfurter Allgemeinen ("Ein Gefangener der Dialektik von Leviathan und Behemoth"). Zu einer Zeit, als nicht nur über Carl Schmitt, sondern auch über Ernst Jünger und Martin Heidegger allerorten regelmäßig die absurdesten Behauptungen, die miesesten Vorwürfe ohne jegliche Grundlage, die abenteuerlichsten Übertreibungen zu lesen sind, ist Maschkes Text ein ganz außerordentliches Lehrstück der Präzision, Strenge und Sorgfalt. Von apologetischem Eifer ist bei ihm genausowenig zu spüren wie von einem Wunsch, Anklage zu erheben. Wo andere nach Bestätigung vorgefaßter Meinungen suchen oder nach eingängiger Beschäftigung mit Schmitts Werk zu denselben Schlußfolgerungen kommen, mit denen sie die Lektüre begonnen haben, ist Maschke stets bemüht, zu den Quellen vorzudringen und zu zitieren, ohne zu verfälschen.

1982 veröffentlichte Maschke in seiner eigenen Edition im Verlag Hohenheim eine Neuauflage von Schmitts berühmtem Buch über den Leviathan ("Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols"), dem er ein scharfsichtiges Nachwort hinzufügte. Sein Interesse an Mircea Eliade und Pierre Drieu La Rochelle geht auf denselben Zeitraum zurück. Aus Maschkes eigener Feder stammt "Der Tod des Carl Schmitt. Apologie und Polemik", eine hervorragende Analyse der weltweiten Reaktionen auf den Tod des Staatsrechtlers. Unter anderem enthält der 1987 bei Karolinger in Wien erschienene Band eine bissige Erwiderung auf "Sankt Jürgen" (Habermas). Im selben Verlag leitet Maschke in Zusammenarbeit mit dem franko-schweizerischen Historiker Jean-Jacques Langendorf eine Reihe namens "Bibliothek der Reaktion", in der auch Übersetzungen der Werke von Juan Donoso Cortés, Joseph de Maistre und Auguste Romieu erschienen.

1988 arbeitete er an dem unter Leitung von Helmut Quaritsch herausgegebenen Band "Complexio Oppositorum" mit. Ebenfalls ihm zu verdanken ist die im selben Jahr in der Zeitschrift Etappe veröffentlichte Dokumentation des Geheimberichts, den das Amt Rosenberg im Januar 1937 gegen Carl Schmitt zusammenstellte. Von 1990 bis 1992 lehrte Maschke, der perfekt Spanisch spricht, im peruanischen La Punta. Auf Einladung der dortigen Kriegsmarineschule hielt er Vorlesungen über Carl Schmitt, über die Geschichte des spanischen Unabhängigkeitskriegs gegen Frankreich von 1808 und über den kubanischen Guerillakrieg.

Zuletzt hat Maschke zwei Sammelbände mit Texten von Carl Schmitt herausgegeben, den einen mit über siebenhundert, den anderen mit über tausend Seiten, ergänzt um einen kritischen Anmerkungsapparat, der von beeindruckender Belesenheit zeugt: "Staat - Großraum - Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969" (Duncker & Humblot, Berlin 1995) und "Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik 1924-1979" (Duncker & Humblot, Berlin 2005) - Meisterstücke, die ihresgleichen suchen.

Daneben dürfen seine zahlreichen Aufsätze (vor allem in Criticón, Der Staat, Etappe etc.) und Übersetzungen keinesfalls in Vergessenheit geraten, darunter Übersetzungen ins Deutsche von Texten oder Briefen Schmitts, die bislang nur auf spanisch vorlagen (etwa den Text "Tierra y Mar" von 1951, dessen deutsche Übersetzung in der JF 52/06-1/07 erschien). Des weiteren wirkte er an acht bemerkenswerten Bänden der von Piet Tommissen herausgegebenen "Schmittiana" sowie an verschiedenen Gemeinschaftsarbeiten mit. Unter anderem sind hier zu nennen "Im Irrgarten Carl Schmitts", in: Karl Corino (Hrsg.), "Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus", Hoffmann und Campe, Hamburg 1980; oder "Drei Motive im Anti-Liberalismus Carl Schmitts", in: Klaus Hansen und Hans J. Lietzmann (Hrsg.), "Carl Schmitt und die Liberalismuskritik", Leske und Budrich, Opladen 1988.

Maschke ist nicht nur außerordentlich belesen, sondern beherrscht auch die schneidende Ironie des nie um Worte Verlegenen, wie seine Erwiderung auf die fanatischen Anwürfe eines Raphael Gross in diesen Seiten bewies (JF 43/00). Ebenfalls in der JUNGEN FREIHEIT berichtete er über Tagungen zu Carl Schmitt in Pamplona (JF 27/00) oder im kolumbianischen Medellín (JF 27/06), zu der ihn unser gemeinsamer Freund Jerónimo Molina begleitete, der die spanische Zeitschrift Empresas españolas leitet.

Gegenwärtig arbeitet Maschke an einer Neuauflage eines Buches, das zu den am wenigsten bekannten und rätselhaftesten Werken von Schmitt zählt, "Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches" (1934). Seine größte Stärke jedoch liegt in seinen profunden Kenntnissen auf dem Gebiet des Völkerrechts. Maschke, der niemals vergißt, daß Schmitt sich selber zuvorderst als Jurist verstand, ist sowohl in der Rechtsgeschichte bewandert wie mit dem Werk der großen Rechtsgelehrten aus Deutschland, Frankreich und Spanien bestens vertraut. Die Vollendung seines Großvorhabens, die Entwicklung des Völkerrechts seit 1880 minutiös nachzuvollziehen, wird mit Spannung erwartet.

Gegen diejenigen, die Schmitts Denken zu "essentialisieren" versuchen, beharrt Maschke stets auf den konkreten - tagespolitischen wie zeitgeschichtlichen - Hintergrund, vor dem das Werk des Staatsrechtlers entstand. Von diesem Bemühen zeugt zum Beispiel der Aufsatz, der in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Etappe von ihm erschien: "Der ent-konkretisierte Carl Schmitt und die Besetzung der Rheinlande", der Text eines Vortrags, den er bereits im November 2001 bei einer Tagung an der Universität La Sapienza in Rom hielt.

Ob unter Schmitts Einfluß, insbesondere der Lektüre von dessen Werken über den Gegensatz zwischen Land und Meer (oder doch eher aus Treue zu dem politischen Engagement seiner Jugend, als die außerparlamentarische Opposition ihn den "Wiener Rudi Dutschke" nannte?) - auf jeden Fall ist Maschke zu der Überzeugung gelangt, daß die USA ihrem eigentlichen Wesen nach kein Bündnispartner für Europa sind. Im Gegenteil geht von ihrer Macht und ihrem Einfluß die schlimmste Bedrohung für die Kulturen des "alten Europa" aus. Maschke stellt zutreffend fest, daß sie überall Unordnung und Chaos stiften: eine Erkenntnis, zu der sich viele Menschen der politischen Rechten in Deutschland sowenig wie in Frankreich durchzuringen vermögen.

Was an Günter Maschke am meisten beeindruckt - neben der Tatsache, daß er der große Kenner Carl Schmitts ist -, das ist seine Offenheit und geistige Freiheit, seine außerordentliche Höflichkeit, seine unglaubliche Bereitschaft, jedem zu helfen, der sich an ihn wendet, wie ich aus eigener Erfahrung bezeugen kann. Nur am Rande sei noch erwähnt, daß dieser Kritiker der Moderne sich standhaft weigert, das Internet oder auch nur eine elektrische Schreibmaschine zu benutzen - wo er heute noch die Farbbänder für sein uraltes Modell auftreibt, bleibt sein Geheimnis!

Günter Maschke zu lesen oder ihn an der Arbeit zu sehen, ist immer ein Vergnügen. Man möge mir gestatten, mit einer persönlichen Bemerkung zu schließen: Ihn zum Freund zu haben, ist Grund zum Stolz.

 

Alain de Benoist, französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften "Nouvelle Ecole" und "Krisis". Auf deutsch erschien zuletzt in der Edition JF sein Buch "Carl Schmitt und der Krieg" (126 Seiten, 19,80 Euro).

Foto: Günter Maschke (M.) auf einem GRECE-Kongreß in Paris (November 1997): Am meisten beeindruckt seine Offenheit und geistige Freiheit

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