© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

"Die innere Ruhe ist erkauft"
Die Migrantengewalt scheint zu explodieren. Doch Sozialleistungen besänftigen das eigentliche Potential
Moritz Schwarz

Herr Kaßauer, bestimmte Gebiete der deutschen Hauptstadt sind aus polizeilicher Sicht bereits "nicht mehr zu retten ... Teile Berlins sind schon verloren!", so warnt aktuell Ihre Schwesterorganisation, die Gewerkschaft der Polizei (GdP), im Zuge der aktuellen Debatte um die Gewalt ausländischer Jugendlicher.

Kaßauer: Grundsätzlich stimme ich den Kollegen zu. Die Polizei hat sich tatsächlich bereits aus Teilen der Stadt zurückgezogen.

Die Innenbehörden streiten das allerdings beharrlich ab: In Deutschland gebe es keine rechtsfreien Räume.

Kaßauer: Das ist natürlich immer eine Frage der Definition: Was versteht man unter rechtsfreien Räumen? Tatsächlich ist es doch so, daß wir von vielen Delikten gar keine Kenntnis mehr bekommen, weil sie nicht mehr angezeigt werden. Entweder trauen sich die Betroffenen nicht, oder es ist keiner mehr da, der sofort hilft und bei dem sie die Anzeige erstatten könnten.

Inwiefern?

Kaßauer: Die Situation ist nicht zuletzt Produkt der Sparpolitik der öffentlichen Hand: In der Bundeshauptstadt etwa wurden zwischen 2000 und 2006 etwa 4.000 Stellen bei der Polizei abgebaut, das sind fast zwanzig Prozent. Wer aber Polizeikräfte abzieht, der gibt Kieze frei, in die die Kriminalität nachrückt. Mich würde interessieren, wie hoch inzwischen die Dunkelziffer ist. Eine Studie über das Anzeigeverhalten ist dringend notwendig und würde bestimmt zu überraschenden Ergebnissen führen.

Ihre GdP-Kollegen sprechen bereits von "Ghettos", in die sich "einzelne Funkstreifenwagen nicht mehr hineintrauen, weil sie sich oft einem gewaltbereiten Mob gegenübersehen, der den Respekt vor der Polizei entweder verloren oder niemals gelernt hat".

Kaßauer: Das stimmt, aber ich meine nicht, daß es unmöglich ist, die Situation je wieder in den Griff zu bekommen.

Was müßte getan werden? Ist mit den Gesetzesverschärfungen, die jetzt in der Diskussion sind, überhaupt noch etwas zu retten?

Kaßauer: Wichtiger als neue Gesetze wäre es, daß vor allem zeitnahe und konsequente Reaktionen des Staates erfolgen und daß alle Verantwortlichen endlich zu einer vereinten Kraftanstrengung zusammenfinden. Also nicht nur die Polizei, sondern ebenso die Politik, der soziale Bereich, die Justiz etc.

In Frankreich gelingt es bis heute nicht, obwohl die Situation dort sogar noch akuter ist.

Kaßauer: In Deutschland gibt es im Gegensatz zu Frankreich noch eine höhere soziale Sicherheit. Solange die besteht, werden die Verhältnisse bei uns wohl nie so schlimm werden wie dort. Wir haben hier sozusagen eine erkaufte innere Ruhe.

Was, wenn in Zeiten knapper Kassen nicht mehr ausreichend Steuergelder zur Verfügung stehen, um sich den relativen "Sanftmut" der Jugendlichen zu erkaufen?

Kaßauer: Dann hätten wir allerdings noch mehr Probleme.

In der ARD-Sendung "Hart aber fair" haben Sie in der vergangenen Woche dargestellt, wie es tatsächlich um das Phänomen der Migrantengewalt in Deutschland steht.

Kaßauer: Leider liegen dazu bis heute noch nicht genug Zahlen vor. Fest steht allerdings, daß der Anteil von jungen Gewalttätern mit Migrationshintergrund überproportional hoch ist, so zum Beispiel ist es den Berichten der Innenministerkonferenz der Länder zu entnehmen. Ich möchte aber betonen, daß nicht entscheidend ist, welcher ethnischen Herkunft jemand ist, sondern in welchen sozialen Verhältnisse er lebt.

Nicht die ethnische, aber die kulturelle Herkunft spielt doch eine wichtige Rolle. Wäre allein das Soziale der Knackpunkt, müßten wir in Deutschland ein massives Gewaltproblem mit Hartz-IV-Empfänger haben.

Kaßauer: Nun, Hartz-IV-Empfänger sind natürlich meist schon etwas älter. Was ich aber meine, ist, daß man das gleiche Prinzip bei deutschen wie bei ausländischen Jugendlichen beobachten kann: Je schwächer die sozialen Strukturen, desto größer die Neigung zur Gewalt.

Der bundesweit bekannte Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) ist da anderer Meinung: Er betont immer wieder, daß die kulturelle Prägung der gewalttätigen Ausländer wesentlicher Teil des Problems ist.

Kaßauer: Ich bin da skeptisch, aber recht hat Buschkowsky immerhin insofern, als es etwa bei Südländern problematisch wird, die aus Staaten kommen, in denen es kein Gewaltmonopol gibt und wo die Familie die Sanktionsaufgaben wahrnimmt, die bei uns der Staat erfüllt. Bei solchen Leuten wird nicht nur die Polizei nicht akzeptiert, sondern alle staatlichen Einrichtungen: Schule, Verwaltung, Jugendarbeit, Elternhilfe etc.

Und dieser kulturelle Faktor macht eine eigentlich überschaubare Alltagssituation, etwa sich danebenbenehmende ausländische Jugendliche, doch inzwischen unberechenbar: Zivilcourage zu zeigen, kann heute tödlich sein.

Kaßauer: Wer helfen will, muß sich nicht zwangsläufig in eine gefährliche Situation bringen. Oft ist auch schon viel geholfen, wenn man die Polizei alarmiert.

Aber das ist doch das Problem: Eine "gefährliche Situation" ist mittlerweile gar nicht mehr als solche zu erkennen. In Hamburg etwa rissen ausländische Jugendliche jüngst einem Rentner grundlos ein Ohr ab. In Berlin zum Beispiel töten Migranten vor Monaten einen jungen Mann - weil er sie aufforderte, am Badesee nicht ihren Müll zurückzulassen.

Kaßauer: Wir sollten deshalb zum Beispiel debattieren, ob der Opferschutz für Menschen, die Zivilcourage gezeigt haben und die dadurch zu Opfern wurden, nicht gestärkt werden kann. Und ebenso, ob nicht zum Beispiel Gewalt gegenüber Hilfe leistenden Personen strafverschärfend wirken muß, so wie der Widerstand gegen Polizeibeamte im Verhältnis zur Körperverletzung auch strafverschärfend ist, eben weil es sich um Vollzugsbeamte handelt.

Also fehlt es doch an Gesetzen? In Sachen Zuwanderergewalt wirft die GdP der Politik vor, zwanzig Jahre geschlafen zu haben.

Kaßauer: Vor allem fehlt es an Rückhalt aus der Politik für Polizei und Justiz bei der Anwendung bestehender Gesetze! Es gibt viele Richter, die gerne härter strafen würden, aber angesichts der überfüllten Jugendarrest­anstalten mit einer Überbelegung von 129  Prozent die Strafen dann doch verständlicherweise nicht verhängen. Wenn aber die Qualität der staatlichen Einrichtungen verhindert, daß Richter guten Gewissens Strafen verhängen können, dann sind nicht die Richter schuld, sondern die Politik.

Das heißt, daß Richter, die vor der Wahl stehen, sich gegen einen Straftäter oder gegen die Gesellschaft zu "versündigen", lieber den Straftäter schonen? Ist das die richtige Einstellung?

Kaßauer: Richter sind dem Gesetz und ihrem Gewissen verpflichtet. Und da spielt eben die persönliche Einstellung eine Rolle. Aber genau diese könnte sich auch ändern, wenn die Politik andere Signale setzen und bessere Voraussetzungen schaffen würde.

Was halten Sie also von der Art und Weise, wie Roland Koch das Thema der Gewalt durch ausländische Jugendliche aufgegriffen und in den Wahlkampf eingespeist hat?

Kaßauer: Als Interessenvertreter der Polizei sind wir natürlich froh darüber, daß das Thema endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die es dringend benötigt. Die Motive, die der Wahlkämpfer Koch dabei möglicherweise gehabt haben mag, sind für uns nachrangig.

Sind aber nicht gerade diese für Sie entscheidend? Was nützt Ihnen eine Strohfeuerdiskussion, bei der es nur um Stimmenfang geht?

Kaßauer: Das ist natürlich richtig. Immer wieder werden vor Wahlen Versprechen gemacht, die danach nicht eingehalten werden. Aber das will ich gar nicht alleine auf Roland Koch beziehen.

Um so schlimmer: Wenn es ein allgemeines Problem ist, müßten Sie doch entschieden vor der Wiederholung dieses Schemas warnen!

Kaßauer: Was soll die Polizei tun? Sie ist bekanntlich nicht befugt, etwa einen Mißtrauensantrag gegenüber der Politik zu stellen.

Prinzip der Demokratie ist: Lösen die etablierten Parteien das Problem nicht, müssen sie abgewählt und ganz neue gewählt werden.

Kaßauer: Das ist nicht Sache der Polizei, sondern der Bürger bzw. der Opposition.

Haben Kochs Kritiker recht, die ihm Heuchelei vorwerfen, weil seine bisherige Politik in Widerspruch zu seinen jüngsten Forderungen steht?

Kaßauer: Zu politischen Fragen äußern wir uns als politisch neutraler Verband nicht.

Wie bewerten Sie dann fachlich die hessische Politik in puncto Innere Sicherheit?

Kaßauer: In allen Bundesländern bis auf zwei - ich glaube, Rheinland-Pfalz und Bayern - gab es zuletzt teilweise erheblichen Personalabbau. Das Problem ist, daß die Politik beim Sparen nicht bedenkt, daß ihre Einsparungen nicht nur dazu führen, daß sich die Probleme vergrößern, sondern daß dadurch Folgekosten entstehen, wenn dann zur Bewältigung der gewachsenen Probleme erneut Mittel verfügbar gemacht werden müssen.

Sie sagen, Sie begrüßen die längst fällige Diskussion. Wenn diese aber längst fällig ist, wieso wird sie dann nicht schon längst geführt?

Kaßauer: Das hat sicherlich vor allem damit zu tun, daß es sich um ein Problem der Migration handelt, also das heikle Thema der Ausländer in Deutschland berührt. Damit tun wir uns bekanntlich alle leider sehr schwer. Es hilft aber nichts, wir müssen anfangen, darüber offen zu reden, sonst wachsen die Probleme unvermindert weiter.

Noch immer verschleiern Polizeiberichte die ethnische Herkunft von Gewalttätern.

Kaßauer: Das zu ändern, ist eine absolut berechtigte Forderung, denn diese Informationen sind notwendig, um sich ein ganzes Bild zu machen.

Auch die Politik trägt nach Kräften zur Undurchschaubarkeit bei: Die niedersächsische Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann etwa äußerte jüngst in einem Interview: "Der Anteil ausländischer Straftäter ist rückläufig." Und fügt dann hinzu: "Das gilt aber leider nicht für junge Deutsche mit Migrationshintergrund." Fühlen Sie sich da auch veräppelt?

Kaßauer: Ich verstehe, was Sie meinen, ich fühle mich aber dennoch nicht veräppelt, denn ich weiß, wie man eine Statistik liest: Es ist meistens eine Frage, wie man Zahlen und Daten interpretiert. Ich erinnere mich an die Zeitungsmeldung: "Jugendkriminalität rückläufig". Als ich mir dann die zugrunde liegende Statistik beschaffte, besagte sie auch tatsächlich, daß die Jugendkriminalität von 1997 bis 2006 um knapp fünf Prozent zurückgegangen war. Allerdings auch, daß die Jugendgewalt im gleichen Zeitraum um über 15 Prozent gestiegen sei!

Wenn die Politik also tatsächlich zwanzig Jahre lang untätig war, wie Sie sich mit der GdP einig sind, was veranlaßt Sie zu der Hoffnung, daß sie nun etwas unernimmt?

Kaßauer: Ich bin einfach ein optimistischer  Mensch und hoffe, daß irgendwann einmal die Politik sich nicht mehr der Einsicht verschließen kann, daß wir ein wachsendes Gewaltproblem in Deutschland haben, vor dem wir uns nicht mehr verstecken können.

Würden Sie sagen, daß dazu mittlerweile auch ein Rassismus gegen Deutsche gehört?

Kaßauer: Das mag man so nennen, ich glaube aber, daß die Ursache ein Neidgefühl gegenüber Deutschen ist, weil man selbst sozial schlechter gestellt ist als diese.

Kaufen Sie einen "Negerkuß", ist das Rassismus, schlägt Sie ein Ausländer unter "Scheiß-Deutscher!"-Rufen halb tot, ist es Neid?

Kaßauer: Das ist ein hochpolitischer Sachverhalt. Für diese Dabette ist die Polizei nicht zuständig. Nach meiner Ansicht ist es im übrigen gar nicht nötig, dafür einen Straftatbestand zu schaffen. Denn der Richter muß einfach beachten, daß der Täter aus Haß gegenüber anderen gehandelt hat, und dies bei seiner Strafbemessung berücksichtigen.

Das passiert aber nicht: Als vor wenigen Tagen in Berlin erneut Deutsche von ausländischen Jugendlichen unter "Alles nur Scheiß-Deutsche überall!"-Rufen angegriffen und verletzt worden sind, wurde eine Ermittlung wegen Volksverhetzung abgelehnt. Sind also Deutsche im eigenen Land "vogelfrei"?

Kaßauer: Wie schon gesagt, ist bei der späteren Strafzumessung unabhängig davon, ob eine Körperverletzung vorliegt oder eine Volksverhetzung, die Motivation des Täters zu berücksichtigen. Wegen Vorfällen dieser Art sollte man aber nicht den Schluß ziehen, daß Deutsche "vogelfrei" sind, wie Sie sagen. Gewalt hat viele Ursachen, und leider ist Haß auf "andere" auch eines von vielen möglichen Motiven. Und weil jeder einmal Opfer werden kann, geht das Thema Jugendgewalt auch uns alle an.

 

Rolf Kaßauer: Rolf Kaßauer ist Landesvorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter in Berlin. Der Kriminaloberkommissar ist seit 1983 im Polizeidienst und war selbst über fünf Jahre lang als Jugendsachbearbeiter tätig. Geboren wurde er 1967 in Langenhagen bei Hannover.

 

Bund deutscher Kriminalbeamter: Der BdK ( www.bdk.de ) ist neben der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), der Bundespolizeigewerkschaft - Verbund innere Sicherheit (BGV) und der Gewerkschaft der Polizei (GdP) die vierte deutsche Polizeigewerkschaft. Gegründet wurde der BdK 1968 als Berufsverband der Angehörigen der deutschen Kriminalpolizei und aller in der Kriminalitätsbearbeitung tätigen Polizeiangehörigen. Heute hat er rund 13.000 Mitglieder.

 

Gewalt durch ausländische Jugendliche: Der Anteil von jugendlichen Zuwanderern bei Gewalt- und Intensivtätern liegt laut Gewerkschaft der Polizei bei fünfzig bis achtzig Prozent. "Die Gewaltbereitschaft und die Intensität der Brutalität nehmen zu. Obwohl wir seit Jahren vor diesen Zuständen und der schleichenden Steigerung warnen und die Politik informieren, wurden bislang keine Entscheidungen getroffen, die den Prozeß aufhalten könnten", so die GdP jüngst. 2006 waren über 100.000 der Täter zudem Kinder. Der schlimmste Gewohnheitsverbrecher der Stadt Köln etwa ist erst 14. Dazu die Polizei: "Der 14jährige Türke kann noch nicht bestraft werden, das ist ein echtes Problem." Fraglich, ob soziale Programme wirklich helfen: "Die meisten wollen gar keine Ausbildung machen. Der meistgenannte Berufswunsch  ist Türsteher. Dafür machen sie Kickboxen und Krafttraining", so die Kriminalpolizei in NRW.

 

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