© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Sozialismus mit venezolanischem Treibstoff
Kuba: Am 20. Januar wird ein neues Parlament gewählt - der Spitzenkandidat heißt Fidel Castro / Versorgungsengpässe in der Karibik-DDR mit Sonnenschein
Paul Leonhard

Vor dem Rathaus von Santiago de Cuba stehen Schautafeln mit den Biographien der von der KP vorsortierten regimetreuen Kandidaten für die Nationalversammlung: Frauen und Männer, Schwarze, Weiße, Mulatten. Am umfangreichsten ist sie beim Spitzenkandidaten des Wahlkreises 7. Das Bild zeigt einen 81jährigen, bärtigen Uniformträger: Fidel Castro Ruz.

Allen Spekulationen zum Trotz wird der seit 47 Jahren herrschende Revolu­tionsführer auch künftig Mitglied des kubanischen Parlamentes sein. Daß er am 20. Januar gewählt wird, daran besteht kein Zweifel. Welchen Posten der bisherige Staats-, Regierungs- und KP-Chef, der 2006 wegen eines Darmleidens seine Ämter vorübergehend an seinen Bruder Raúl Castro übergeben hatte, dann einnehmen wird, ist unklar.

Selbstverständlich werden die 614 Abgeordneten Fidel Castro im März zum Chef des 31köpfigen Staatsrates wählen. Aber wird der Máximo Líder diese Wahl annehmen? Er könnte hier seinem 76jährigen Bruder endgültig den Vortritt lassen. Mitte Dezember hat er in einer im Fernsehen verlesenen Botschaft mitgeteilt, seine "elementare Pflicht" sehe er nicht darin, sich "an die Ämter zu klammern, und noch viel weniger möchte ich Jüngeren den Weg versperren". Seine Aufgabe sei es, "Erfahrungen und Ideen beizutragen". Fidel Castro hat sich seit anderthalb Jahren nicht mehr öffentlich gezeigt. Seine stundenlangen Ansprachen sind Vergangenheit.

Dafür meldet sich der Kranke öfter mit längeren Betrachtungen zu innen- und außenpolitischen Themen in den Zeitungen zu Wort. Der Klimawandel und die Verarbeitung von Nutzpflanzen zu Benzin beschäftigen ihn. Insbesondere sinniert er über seine Lieblingsprojekte: eine eigenständige Entwicklung eines geeinten Lateinamerika und eine Neuauflage des "Sozialismus im 21. Jahrhundert". Hauptgesprächspartner ist Hugo Chávez. Dem linkspopulistischen Präsidenten Venezuelas verdankt Raúl Castro, daß sich die Wirtschaftslage stabilisiert. Venezuela hat die Rolle der Sowjetunion übernommen.

Es liefert Erdöl, täglich etwa 100.000 Barrel kommen zu Vorzugspreisen aus der Bolivarischen Republik. Im Dezember spendierte Chávez einen 118-Millionen-Euro-Kredit für den Bau eines Kraftwerkes. Gleichzeitig bemüht sich Kuba um enge Wirtschaftskontakte mit China, wie Verhandlungen um eine gemeinsame Ausbeutung der kubanischen Nickelvorkommen und neue Loks und Busse im öffentlichen Verkehr zeigen. Allerdings muß Kuba Peking harte Devisen zahlen, während die Leistungen aus Caracas zum Großteil durch die Entsendung kubanischer Spezialisten kompensiert werden. Etwa 36.000 Kubaner sollen zur Zeit in Lateinamerika und Afrika als Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer tätig sein.

Dieser Aderlaß macht sich im kubanischen Alltag deutlich bemerkbar. Operationen müssen kurzfristig abgesagt werden, weil die Ärzte nach Venezuela abgeordnet wurden, in den Schulen werden plötzlich Hilfslehrer eingesetzt. Noch mehr Sorgen bereitet der katastrophale Zustand in der Landwirtschaft. Die Marktpreise steigen, die auf Lebensmittelkarten erhältlichen subventionierten Waren reichen nur bis zur Monatsmitte. Betroffen sind jene Kubaner, die keine Dollar oder Euro besitzen.

Mit der Unzufriedenheit steigt die Kriminalität. Diebstähle und Einbrüche sind Alltag. Raúl Castro hat daher erstmals davon gesprochen, das Land und die Produktionsmittel denen zu geben, die in der Lage seien, es effizient zu bearbeiten. Versuche dazu gibt es: So demonstriert die Deutsche Welthungerhilfe in mehreren Provinzen, welche hohen Erträge landwirtschaftliche Genossenschaften erwirtschaften können, wenn sie gewinnorientiert arbeiten dürfen. Noch sind die Kubaner mißtrauisch, was die Ankündigungen der Castro-Brüder betrifft. Auf Phasen der Liberalisierung folgten in der Vergangenheit immer wieder solche, wo Privatinitiativen durch Schikanen erstickt werden sollten. Deswegen folgt kaum jemand der Aufforderung Raúl Castros, Mißstände in der Insel-Diktatur öffentlich zu diskutieren.

Wie die kubanische Freiheit aussieht, wurde am 22. Dezember deutlich. Da besuchten Raúl Castro und Chávez im offenen Militärjeep Santiago de Cuba. In der Stadt herrschte bereits am Vortag absolutes Alkoholverbot, alle Straßen waren weiträumig abgesperrt, und entlang der Protokollstrecke durften ausgesuchte Pionier-, Studentengruppen und Parteikader mit Fähnchen winken.

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