© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Italienische Soldaten kämpfen gegen Abfall
Müll-Krieg in Neapel: Der lange Schatten der Camorra und das Versagen der Politiker / Ein Entsorgungskonzept fehl
Paola Bernardi

Es stinkt zum Himmel: Seit Dezember türmt sich in und um Neapel der Müll. Rauch liegt über der Landschaft. Die Region erstickt wieder im Abfall. Hunde wühlen im Dreck, Schulen bleiben geschlossen. Kreischende Mütter toben weinend vor der Kamera, rabiate Demonstranten provozieren immer wieder Zusammenstöße mit der Ordnungsmacht, verhindern die Zugänge zu den Deponien, zünden Polizei- und Feuerwehrautos an, besetzen Eisenbahngleise, und die örtlichen Politiker baumeln als Puppen an den Bäumen.

Der aus Neapel stammende postkommunistische Staatspräsident Giorgio Napolitano appellierte eindringlich an seine Landsleute, die Verbrennung von Müllcontainern sofort einzustellen, weil dadurch Dioxin entstehe. Nach Berechnung des Corriere della Sera wurde in einer einzigen Nacht nach dem Anzünden von 60 Müllbehältern soviel Giftgas in die Luft geschleudert wie von der Müllverbrennungsanlage in Venedig in anderthalb Jahren. Italiens Premier Romano Prodi entrüstete sich melodramatisch vor den TV-Kameras und sprach von einer "nationalen Schande". Der Kardinal von Neapel, Crescenzio Sepe, donnerte von der Kanzel, in der Stadt seien "die Zeiten der Cholera ausgebrochen". Doch der Regionalpräsident von Kampanien, Antonio Bassolino, und Neapels Bürgermeisterin Rosa Russo Iervolino (Ulivo) weisen jede Schuld von sich, habe doch Rom seit langem von diesem Notstand gewußt.

Nun, da der Skandal international wurde, machte Prodi die Müllberge von Neapel zur "Chefsache", und die Regierung nahm den Kampf gegen die Müllabfuhr mit personellen, militärischen und administrativen Maßnahmen auf. So sind derzeit Soldaten im Einsatz, die den Abfall im Großraum Neapel abtransportieren. Danach sollen die von der Regierung schon 2007 als "unmittelbar benutzbar" ausgewiesenen Mülldeponien benutzt werden, weitere sollen "von den zuständigen Behörden ausgemacht werden". Außerdem beschloß die Regierung, einen Plan für die Trennung von Abfall in Normal- und Sondermüll auszuarbeiten. Die Gemeinden müssen diesen in 60 Tagen vorlegen, andernfalls erhalten sie einen Sonderkommissar anstelle ihres Bürgermeisters. Außerdem wird für 120 Tage ein Sonderkommissar der Regierung für den Müllnotstand in Kampanien eingesetzt: Es ist der ehemalige Chef der Staatspolizei, Gianni De Gennaro.

Mögen die Bilder auch noch so dramatisch sein, letztendlich handelt es sich doch nur um die jüngste Wiederholung einer seit vielen Jahren notorisch wiederkehrenden Müllkrise in dieser Region. Immer wieder wurde diese übelriechende Angelegenheit in Kampanien von den Verantwortlichen unter den Teppich gekehrt oder kurzfristig eine Notlösung improvisiert. Immerhin sind seit 14 Jahren des Müllnotstands fast zwei Milliarden Euro für die Lösung dieses Problems in Kampanien ausgegeben worden - ohne Erfolg. Die Region produziert jährlich 2,8 Millionen Tonnen Müll, besitzt aber seit 1997 keine Mülldeponie mehr. Von den vor bereits zehn Jahren geplanten Müllverbrennungsanlagen soll die erste 2009 fertig sein. Als voriges Jahr die Notlösungen ausgeschöpft schienen, erfand man eine neue Variante: die Verpackung des Mülls in Ballen von 1,1 Tonnen. Doch zum Jahresende war auch der Platz für den verpackten Müll zu eng geworden. Außerdem wurde immer wieder Müll in Sonderzügen nach Deutschland in die dortigen Verbrennungsanlagen transportiert. Erst im Mai 2007 "entdeckte" man dann auch Rumänien, das billiger war. Die norditalienischen Regionen, an die jahrelang ebenfalls Müll verschoben wurde, streiken seit einiger Zeit, so daß der Müllnotstand vorauszusehen war.

Auch die Trennmüll-Lösung wurde von den Verantwortlichen durchexerziert, um diesen dann zu kompostieren oder wiederaufzuarbeiten. Die Lokalpolitiker sahen darin die große Chance, überhaupt auf die Mülldeponien zu verzichten, und ließen sich dafür als Umweltschützer feiern - doch diese Ideen versickerten im Sande.

Besonders Bassolino, der 1993 Bürgermeister von Neapel wurde, sah hierin die große Chance. Der Postkommunist sollte der Stadt am Vesuv wieder Glanz verleihen. Doch der Aufschwung Neapels dauerte nur kurz. Immerhin stellte Bassolino 1.800 neue Müllmänner für den Trennmüll ein; ebenso wurde ein neuer Maschinen- und Fuhrpark angeschafft. Genützt hat es nichts, jahrelang erhielten die Angestellten ihr Gehalt, ohne daß ein einziges Kilo Trennmüll eingesammelt wurde.

Kompetenzengerangel zwischen Neapel und Rom, Schlamperei und übermächtiger Lobbyismus tragen zudem zu dieser Misere bei. Doch einer der Hauptgründe liegt im "sistema", wie man in Neapel sagt. Denn die Region wird vom organisierten Verbrechen beherrscht. Die Camorra ist der größte Arbeitgeber der Region. An ihr kommt keiner vorbei. Sie macht ihre Geschäfte mit öffentlichen Bauaufträgen, Drogen, Waffenhandel - und mit Müll.

Die Verbrecher-Clans verdienten in den vergangenen Jahrzehnten Milliarden, um Sondermüll aus dem Norden auf illegale Deponien zu vergraben oder auf legale Deponien zu schmuggeln. Müll wurde unter ihrem Regime zu Gold. Deshalb versucht die Camorra mit allen Mitteln Dauerlösungen zu verhindern. Man vermutet, daß sie sogar hinter den lokalen Demonstrationen gegen den Bau von Deponien oder Verbrennungsanlagen steht. Wie sagte doch der christdemokratische Justizminister Clemente Mastella, der selber aus Kampanien stammt und sich bestens auskennt: Die Camorra habe es schon immer gegeben.

Nachdem jetzt das erste Schiff aus Neapel mit 500 Tonnen Müll in Cagliari eingetroffen ist (der Gouverneur von Sardinien, Renato Soru, hatte zugestimmt), sind auch auf der Insel wütende Proteste und Demonstrationen ausgebrochen. Am 28. Januar wird sich nun Brüssel mit dem Müllnotstand in Neapel beschäftigen. Die EU-Kommission hat ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die Umweltregeln eingeleitet.

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