© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Überflüssige Nullnummer
Politischer Drahtseilakt: Probleme mit der Abschiebung türkischer und kurdischer Gewalttäter haben Tradition
Curd-Torsten Weick

Schwer disziplinierbarer Volkscharakter"? Man schaut zweimal hin und ist dennoch überrascht über den Ton, den der Verfassungsschutz Anfang der achtziger Jahre anschlug. Und richtig, die beschauliche Gastarbeiter-Romantik hatte sich verflüchtigt, denn die bürgerkriegsähnlichen Zustände in der krisengeschüttelten Türkei waren mitsamt ihrer Welle von Asylsuchern in die Bundesrepublik übergeschwappt und erschütterten die Politik.

Die Mitgliederzahlen links - und rechtsextremistischer türkischer Organisationen wuchsen stetig. Und der Verschärfung der politischen Agitation folgten gewalttätige Auseinandersetzungen, die beide politischen Gruppen gegeneinander austrugen. Angesichts dieser Entwicklungstendenzen war klar erkennbar, daß die innertürkischen Konflikte die Bundesrepublik erreicht hatten. Doch die damalige sozial-liberale Bundesregierung mochte die volle Tragweite der Entwicklungen noch nicht sehen. Also ließ das Innenministerium im Januar 1980 verlauten: "Es ist so - das ist der eigentliche Grund für die Sorge, mit der die Bundesregierung diese Entwicklung beobachtet -, daß die Gefahr besteht, daß sich die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Türkei hier durch Auseinandersetzungen von rechts-  und linksextremistischen Gruppierungen entladen."

Um letztlich ein völliges "Überschwappen" dieser Auseinandersetzungen auf den Boden der Bundesrepublik zu verhindern, forderte das Innenministerium die Bundesländer auf, "dort, wo es um die Durchführung konkreter, einen Einzelfall betreffender Maßnahmen des Ausländer-, des Polizei- oder des Strafrechts" gehe, die "vorhandenen Mittel auszuschöpfen". Man gab jedoch zu bedenken, daß die Ermittlungen, die die Strafverfolgungsbehörden in einem gesellschaftlichen Bereich führten, "der ihnen aus sehr unterschiedlichen Gründen oft verschlossen" blieb, mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hätten.

Im Rahmen dieser Entwicklung sah das Ministerium in der verstärkten Beobachtungstätigkeit durch den Verfassungsschutz von Bund und Ländern ein adäquates Handeln. Im Juni 1980 veröffentlichte daraufhin das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Bericht, der darauf aufmerksam machte, daß der türkische Extremismus eine schwere Bedrohung der inneren Sicherheit darstelle. Polarisierung, Gewaltbereitschaft, die stetige Zunahme der Mitgliederzahlen sowohl auf der Seite der türkischen Linken als auch der türkischen Rechten, Re-Islamisierung und ein "schwer disziplinierbarer Volkscharakter" bildeten demnach eine hochbrisante Mischung. Dabei wurde nicht ausgeschlossen, daß manche politischen Organisationen ihren rasanten Mitgliederzuwachs kaum allein aus den Reihen der türkischen Gastarbeiter rekrutierten, sondern zur Erweiterung ihrer Aktionsbasis auch den breiten Asylbewerberstrom instrumentalisierten. Doch wie den Gewalttätigkeiten begegnen, die oft mit Landfriedensbruch, Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte einhergingen? Was tun?

Die Frage der Abschiebung von türkischen Gewalttätern stand bereits Ende der siebziger Jahre auf der Tagesordnung. Entsprechend machten die Regierungen Schmidt und Kohl immer wieder darauf aufmerksam, daß es in ihrem Interesse lag, die Ausweisung aufgrund gewalttätiger und extremistischer Betätigung zu erleichtern. Doch was sich so einfach anhörte, war nur schwer umzusetzen. Die prekäre Situation der Menschen- und Minderheitenrechte (Folter, politische Verfolgung Andersdenkender, Diskriminierung der Kurden) beim Nato-Partner Türkei machten die Abschiebungsfrage zum innen- und außenpolitischen Drahtseilakt.

Dem nicht genug. In Anbetracht der Eskalation kurdischer Gewalt auf deutschen Straßen in den Jahren 1993 bis 1996 erhielt die Diskussion um die Abschiebung kurdischer Gewalttäter eine außerordentliche Brisanz. Hierbei spielten drei Faktoren eine hervorgehobene Rolle. Erstens forderte die türkische Regierung die Auslieferung der Täter. Zweitens mehrten sich in der Regierung Kohl/Kinkel und in den Parteien der Regierungskoalition die Stimmen, die sich für eine forcierte und erleichterte Ausweisungs- und Abschiebepraxis aussprachen. Und drittens untersagte die Genfer Flüchtlingskonvention die Abschiebung in ein Land, in dem den Abgeschobenen die "wohlbegründete Gefahr" von unmenschlicher Behandlung, Folter und Todesstrafe drohte. Im Kontext dieser unterschiedlichen Aspekte und im Anschluß an die Krawalle von PKK-Anhängern im März 1994 (Autobahnblockaden, Straßenschlachten mit der Polizei) präzisierte sich die Diskussion um mögliche Maßnahmen hinsichtlich einer erleichterten Abschiebung gewalttätiger Kurden.

Im Mittelpunkt der Diskussion zwischen Innen-, Justiz-  und Außenministerium stand der von Innenminister Manfred Kanther (CDU) favorisierte Abschluß eines Abschiebeabkommens mit der Türkei. In dessen Rahmen sollte die Türkei zusichern, daß den Abgeschobenen weder die Todesstrafe noch Folter drohe.

Zwar ließ das Auswärtige Amt verlauten, daß man ein Sonderabkommen mit der Türkei für wenig zweckmäßig hielt, da die Türkei hinsichtlich Folter und Todesstrafe ohnehin an internationale Verträge gebunden sei. Nichtsdestotrotz fand man sich bereit, die Möglichkeit weitergehender türkischer Zusicherungen zu prüfen.

Anfang Mai 1994 waren die Gespräche mit der Türkei jedoch noch nicht weit gediehen. Zwar gab es erste Überlegungen in der Bundesregierung zu Form und Inhalt eines Abkommens, doch wurden bis dato keine formellen Verhandlungen mit der Türkei geführt. Seitens der Türkei machte man auch kein Hehl aus den Bedenken gegenüber der deutschen Initiative.

So wies die türkische Seite unmißverständlich darauf hin, daß allen abgeschobenen türkischen Staatsangehörigen in Übereinstimmung mit den Vorschriften der türkischen Verfassung und der von der Republik Türkei ratifizierten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten eine rechtsstaatliche Behandlung zuteil würde, die Einhaltung dieser Rechte sowohl durch die türkischen Gerichte als auch durch die Europäische Konvention für Menschenrechte und den Europäischen Gerichtshof sichergestellt sei, deren Rechtsprechung sich die Türkei unterworfen habe.

Trotz dieser türkischen Einwände und der sich daraus ergebenden türkischen Souveränitätsbedenken kam es im Mai in Ankara sowie im Juni 1994 in Bonn zu bilateralen Gesprächen. Anfang Januar 1995 kehrte der sächsische Innenminister Heinz Eggert (CDU) aus der Türkei zurück und gab zu Protokoll, daß die Türkei nun endlich bereit sei, bezüglich der Abschiebung gewalttätiger Kurden aus Deutschland Garantien zu geben, die eine Gefährdung derselben durch Folter, Todesstrafe oder unwürdige Behandlung ausschlössen. Nach weiteren bilateralen Erörterungen übersandte das türkische Innenministerium am 10. März 1995 ein Schreiben, in dem Garantieerklärungen für die Abschiebung türkischer Staatsangehöriger abgegeben wurden, die sich an Straftaten in Zusammenhang mit der PKK und anderen Terrororganisationen in Deutschland beteiligt hatten.

Im Anschluß an den Briefwechsel sprach Kanther von einem "großen Erfolg". Parallel dazu waren aus dem Innenressort Stimmen zu vernehmen, die dezent betonten, daß Verfahrensabsprachen in der türkischen Regierung zur Bewußtseinsbildung beitragen würden. Auch Kanthers bayerischer Ressortkollege Günther Beckstein (CSU) begrüßte das Abschiebeabkommen, indem er betonte, daß in Zukunft für eine "transparente, kontrollierte Abschiebung" von PKK-Straftätern gesorgt sei.

 In Anbetracht dieser positiven Stimmen aus dem Lager der Union machte Außenminister Klaus Kinkel (FDP) dennoch darauf aufmerksam, daß türkische Staatsbürger, denen bei Abschiebung die Gefahr einer "mit Menschenrechtsvorstellungen nicht konformen" Behandlung drohe, trotz Abkommens nicht abgeschoben würden. Dessen ungeachtet ließ die Bundesregierung verlauten, daß sie den Briefwechsel als "rechtlich und politisch verbindlich" erachte, denn "im Unterschied zu anderen multilateralen, dem Schutz der Menschenrechte dienenden völkerrechtlichen Regelungen", handle "es sich um eine bilaterale Absprache", "auf deren Grundlage die Türkei über die Ausübung ihrer Staatsgewalt gegenüber eigenen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Auskunft gibt". Der Unterschied zu "innerstaatlichen einfachgesetzlichen Regelungen" liege in der "völkerrechtlichen Natur". Parallel dazu wurde seitens der Bundesregierung betont, daß sich die Türkei "unbeschadet der von ihr nicht geleugneten Defizite in der praktischen Einhaltung auf unterer Ebene stets zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen bekannt" habe. Deswegen gehe Bonn davon aus, daß die Türkei ihre Zusicherungen auch einhalten werde.

In Anbetracht der Kritik aus den Reihen der Opposition, die das Abkommen in Frage stellte bzw. ablehnte, manifestierte Innenminister Kanther nochmals die regierungsamtliche Haltung, indem er betonte, daß man eine Vereinbarung getroffen habe, an deren Einhaltung durch die Türkei man keinen Zweifel habe. Zudem stellte Kanther klar, daß er es für "unvertretbar" halte, wie in den Reihen der Opposition "mit Zusagen eines der ältesten Verbündeten unseres Landes umgegangen" werde, und hob hervor, es gebe "in der Welt keinen Staat", der sich "mehr Gedanken" im Bereich der Strafbarkeit von PKK-Straftätern mache als Deutschland.

Doch entgegen aller hoffnungsvollen und wegweisenden Worte des Bundesinnenministers entwickelte sich die deutsch-türkische Abschiebevereinbarung vom 10. März 1995 - sie trat nach umfangreichen Abstimmungsmaßnahmen mit den Bundesländern erst am 17. Juli 1995 in Kraft - zu keinem Erfolgsmodell.

Trotz vielfältiger Forderungen der Türkei, die im Anschluß an die bilaterale Vereinbarung erwartungsgemäß eine entsprechende Anwendung der Bestimmungen des Abkommens forderte, und entgegen immer wiederkehrenden markigen Worte deutscher Politiker, die intervallartig eine konsequente Abschiebung in Aussicht stellten, ging es mit der Ausweisung der PKK-Straftäter nicht recht voran. Angesichts einer einzigen Abschiebung eines verurteilten PKK-Straftäters (Stand Mitte September 1995) betitelte der damalige Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) die bilaterale Vereinbarung als eine "in der Praxis überflüssige Nullnummer".

Bis Ende September 1995 hatte es lediglich 27 Anfragen aus den Bundesländern gegeben, die sich auf den Briefwechsel bezogen. Von ihnen kamen 17 aus Bayern, sechs aus Niedersachsen und vier aus Nordrhein-Westfalen. Die geringe Zahl von Abschiebungen erklärte daraufhin der Unionsabgeordnete Dietmar Schlee mit "Anlaufschwierigkeiten". Diese freilich wollten sich auch in den nächsten Jahren nicht beheben lassen.

 

Stichwort: Instrumentalisierte Asylbewerber 1977-1980

Vor dem Hintergrund der instabilen Situation der Türkei vor dem Militärputsch 1980 erreichte die Bundesrepublik ein Phänomen, das bis dato keine Rolle gespielt hatte und nun infolge erheblich ansteigender Zahlen (1977: 1.200; 1978: 7.400; 1979: 18.000; 1980: 58.000) auf die Tagesordnung gesetzt wurde - asylsuchende türkische Staatsangehörige. Es handelte sich um Türken und Kurden, die vielfach ob ihrer extremistischen Einstellungen flohen, jedoch weiter aktiv blieben und die Bundesrepublik innen- und außenpolitisch in Zugzwang brachten. Das Abschiebungsproblem war geboren.

Foto: Polizei löst im Juli 1995 eine Kurden-Demonstration in Frankfurt auf: Festnahmen infolge massiven Widerstands gegen die Staatsgewalt 

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