© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Die Kompaßnadel rotiert im Kreis
Arnulf Barings Sammelband mit politischen Analysen aus der letzten Dekade vermittelt wenig Rüstzeug für den konservativen Barrikadenkampf
Heinz Fröhlich

Melancholisch blickt der weißhaarige Mann vom Buchesumschlag. Sein ratloser Gesichtsausdruck widerspricht der Streitlust, die Arnulf Baring bekannt machte. Daß "Deutschland nicht nur den Deutschen gehört", sei zu respektieren. Sein Buch enthält Zeitungsartikel und Vortragstexte aus der Zeit von 1998 bis 2006. Die deutsche Lage wird seziert, doch gewinnt der Autor keinen schlüssigen Standpunkt.

Seit dem Mauerfall plagen ihn Kopfschmerzen. Adenauers Regierungsjahre waren eine "glückliche Ausnahmezeit". Die Wiedervereinigung destabilisiere das idyllische Rheinbunddasein, glaubte Baring schon 1990. Sofern die Deutschen östlich der Elbe neue politische Kurse wünschten, fauchte er damals, sollten sie lieber draußenbleiben. Verwünscht Baring insgeheim die deutsche Einheit, obwohl er sie äußerlich bejaht? Manche Mitteldeutsche, konstatiert der furchtsame Verfasser, nörgelten an der Westintegration. Doch könne unser Land weder Nato noch EU ignorieren und müsse die "indirekte Mitsprache des Auslands" hinnehmen, auch wenn Berlins diplomatischer Handlungsrahmen wachse. Nato und EU mißtraut Baring dennoch; einen europäischen Bundesstaat werde es nicht geben. Trotz der Wiedervereinigung stellten die Deutschen aber keine Nation dar; sie beugen ihr Haupt der EU, obwohl  das nationalstaatliche Zeitalter weitergehe. Was folgt daraus?

Nun packt Baring die blanke Angst. "Von Bismarck zu Hitler" habe die "fixe Idee" geherrscht, Deutschland müsse die Rolle einer "eigenständigen, unabhängigen Großmacht" spielen. Bismarcks Reichsgründung und den Hitlerschen Imperialismus in einen Topf werfen? Verflogen seien die sechziger und siebziger Jahre, als die Deutschen "nett und harmlos" ihr Leben genossen. Hoffentlich finden sie erneut ihren großen Bruder, da man ohne "Schutzmacht" schließlich blind im Dunkeln stochert: "Die USA bleiben unser Fundament."  Tadel verdiene Altkanzler Schröder, weil er den Irak-Krieg öffentlich ablehnte! Nur Washington schütze uns zuverlässig. Wegen schwacher Begabung müssen wir also unter Kuratel gestellt werden.

Trotz der eigenen aufschlußreichen Analyse konstatiert der gleiche Autor, die Deutschen hätten Minderwertigkeitskomplexe und seien "emotional gestört". Ihnen fehle Selbstwert- und Ehrgefühl, und daher scheiterten sie. Untalentierte Mündel oder seelisch Kranke? Offenbar benötigt Deutschland in jedem Fall einen Vormund. Aufgrund des Traumas der NS-Zeit mißachteten viele Deutsche die eigene Kultur. Geburtenrückgang und "multikulturelle" Illusionen resultieren aus dieser "größten Schwäche". Ob die Integration der Zugewanderten möglich sei, wisse niemand.

Sollen die Deutschen gleichzeitig ihr Selbstbewußtsein stärken und nationalstaatlicher Unabhängigkeit abschwören? Wie der schwarze Schimmel aussieht, erklärt Baring nicht, sondern tappt in die Sackgasse eines fundamentalen Widerspruchs.

Der Autor verlangt, Ludwig Erhards Marktwirtschaft zu restaurieren, und verkennt die Unterschiede zur Situation von 1948. Weniger Menschen produzieren mehr; viele können sich nicht selbst Arbeit schaffen. Dennoch fordert Baring aus der bequemen Position des Pensionsberechtigten, daß der Einzelne "mehr Verantwortung" tragen möge. Soziale Ungerechtigkeit kennt das neoliberale Paradies nicht. Die Konzepte der 1950er Jahre gehören in eine andere Epoche.

Solche Wirrungen sind nur biographisch zu verstehen. Er habe die "folgenreichsten Prägungen" in den letzten Kriegsmonaten und der frühen Nachkriegszeit erhalten. Immer noch beschwört der Autor antiquierte Stereotype, aber die Kompaßnadel rotiert im Kreis, zeigt keinen gangbaren Weg. Baring vertritt, wenn man so will, Positionen der "Adenauerschen Rechten". Deren "linke" Zwillingsbrüder leiden  weniger an mangelnder Logik.

Arnulf Baring: Deutschland gehört nicht nur den Deutschen. Hohenheim Verlag, Stuttgart 2007, gebunden, 328 Seiten, 19,90 Euro

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