© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Sie baden gerne lau
Vor den Landtagswahlen: Die CDU ist ein Gemischtwarenladen, in dem sich jeder bedienen kann
Michael Paulwitz

Welche CDU hätten Sie denn gern? Darf's ein Viertelpfund Konservativ-Rustikal mehr sein, mit Empfehlung vom Koch? Mögen Sie lieber feinpürierte Hannoveraner Schonkost? Oder nehmen wir heute mal das trendige großstädtisch-urbane Hamburger Allerlei, lecker mit schwarz-grüner Soße garniert? Nichts muß, alles kann, lautet die Devise im weltanschaulichen Gemischtwarenladen CDU. Von jedem Wahlkämpfer bekommt der Bürger ein anderes Menü serviert und kann sich selbst aussuchen, was er bei der Union herausschmecken will.

Roland Kochs Endspurt unter dem Motto "Wir haben zu viele junge kriminelle Ausländer" war möglicherweise der letzte Versuch eines CDU-Wahlkampfes mit konservativen Akzenten überhaupt. "Freiheit statt Sozialismus"-Parolen und den rhetorisch harten Kurs in Sachen Einwandererkriminalität glaubt man den Unionsparteien heute noch weniger als vor zwanzig Jahren. Die CDU ist nicht mehr die Partei, der die Bürger so etwas ernsthaft zutrauen.

Intuitiv ahnt das Wählervolk den ausgekochten Wahlbetrug. Vielleicht fragt der eine oder andere, der 1999 bei der Doppelpaß-Kampagne mitgemacht hat, die Koch ins Amt des Ministerpräsidenten katapultiert hat, sich ja auch, was damals aus seiner Unterschrift gegen die rot-grüne Manipulation des Staatsbürgerschaftsrechts geworden ist. So einfach geht es eben doch nicht, vier Jahre lang Zeitgeist-Politik betreiben und dann vier Wochen vor der Wahl den konservativen Eisenfresser mimen.

Die Kampagne des hessischen Ministerpräsidenten hing gleich mehrfach in der Luft. Mit der Verengung auf die einwandererdominierte Jugendkriminalität kratzte der Vorstoß nur an der Oberfläche. Vor der Ausweitung auf das Grundsätzliche scheute die CDU zurück. Denn dann hätte man ans Eingemachte gehen und über die Folgen der jahrzehntelangen Unterschichtseinwanderung reden müssen, über Ghettos und feindselige Parallelgesellschaften, über den Zerfall der Nation als Basis des Sozialstaats und darüber, welche Auswege aus dem Vorbürgerkrieg es überhaupt noch gibt.

Weder Roland Koch selbst noch die Bundes-CDU wollte aber den Kampf um die kulturelle Hegemonie aufnehmen und sich mit dem etablierten linksliberalen und multikulturalistischen Zeitgeist und seinen mächtigen sozialpädagogischen Bataillonen anlegen. Seine Partei erwies dem hessischen Wahlkämpfer gerade mal die geschuldete Minimal-Solidarität und übte sich nach einem kurzen Strohfeuer weiterer oberflächlicher Vorschläge und Uralt-Rezepte zur Jugendkriminalität sogleich in Absetzbewegungen. Offenbar ist schon die wahlkampftaktische Behandlung kontroverser Themen aus dem konservativen Kernbestand in der "modernisierten" Merkel-CDU zum Fremdkörper geworden.

Roland Koch dürfte es daher schwerfallen, wie angekündigt seine Polarisierung des Einwanderungs-Unterthemas Jugendkriminalität zum neuen Wahlkampfschlager der Union zu erheben, selbst wenn er gegen den Umfragetrend am 27. Januar seine Regierungsmehrheit behaupten sollte. Andere CDU-Stile stehen zur Auswahl, die besser ins Rezeptbuch der Parteichefin passen.

Da gibt in Niedersachsen Kochs Kollege Christian Wulff den Sozialdemokraten mit dem netteren Antlitz und gefällt sich als über den Dingen schwebender Landesvater, der so häßliche Dinge wie Jugendkriminalität gar nicht anfaßt und lieber von der Weltoffenheit und den Integrationserfolgen seines Landes schwärmt. Selbst wo er sich als Rebell stilisiert, bleibt Wulff konformistisch, wenn er den Journalisten augenzwinkernd mitteilt, in seinem Jugendzimmer habe neben Helmut Kohl das Poster einer kommunistischen schwarzen US-Bürgerrechtlerin gehangen.

In Deutschlands zweitgrößter Stadt Hamburg dagegen ist die CDU bereits so rundgeschliffen, daß Bürgermeister Ole von Beust seinen Wahlkampf lieber mit Spekulationen über eine schwarz-grüne Koalition befeuert - und die Grünen, in der Hafenstadt bekanntlich nicht gerade gemäßigt, prompt Gesprächsbereitschaft signalisieren. Über Jugendkriminalität spricht Beust zwar - bloß nicht im Zusammenhang mit Einwanderungsfolgen.

In den wenigen Merkel-Jahren hat die CDU ihre Transformation zur Zeitgeist-Partei rasant vorangetrieben. Den Bestand an eigenen Werten, Kernthemen und Zielen hat sie dabei soweit reduziert, daß sie sich jeder anderen Partei des Berliner Kartells als Regierungspartner andienen und diese sogar noch punktuell übertrumpfen kann - sei es die SPD mit dem von-der-Leyenschen Krippensozialismus, sei es die Grünen mit der Klimaschutz-Gängelei.

Man kann der Union schon zutrauen, in jeder Konstellation nach der Macht zu greifen und diese auch für sich zu befestigen. Man weiß nur nicht, wofür sie steht und warum man sie überhaupt noch an die Macht lassen soll. Sie hat kein Programm, das sie von anderen unterscheidet, nicht einmal ein falsches. Das Umfragebarometer als Richtlinie der Politik ist dafür kein Ersatz.

Der Vergleich zu den Sozialdemokraten ist aufschlußreich: Die Beck-SPD hat ein griffiges ideologisches Thema gefunden, das in allen drei Landeswahlkämpfen durchdekliniert wird. Der "Mindestlohn" spricht den Prekarier-Sozialneid ebenso an wie die Abstiegsängste der vom Umverteilungsstaat besonders schwer gebeutelten Mittelschicht und eignet sich darüber hinaus vorzüglich zur Vor-Mobilisierung für den nächsten Bundestagswahlkampf.

Bei den Unionsparteien hingegen ist von langfristigen Strategien und von einem Ringen um Positionen und Begriffe, um den Kurs und um die Zukunft des Landes nichts zu spüren. Wer CDU wählt, bekommt bestenfalls eine gute Verwaltung, aber keine Regierung. Vielleicht ist es nicht das geringste Problem der CDU, daß ihr ein entsprechender strategischer Kontrapunkt deutlich rechts von der überfüllten Mitte fehlt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen