© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Kampf für den Frieden
Zum fünften Todestag des "Speckpaters" van Straaten
Manfred Müller

Nach meiner ersten persönlichen Begegnung mit der Not des geschlagenen Deutschland kam ich zutiefst erschüttert zurück in die Abtei, wo gerade für flämische Pfarrer Exerzitien gehalten wurden. Man lud mich zu einem Vortrag ein, und ich erzählte anderthalb Stunden lang über das, was ich gesehen und erlebt habe. Danach ging ich mit meinem Hut herum - dem späteren berühmten Millionenhut - und kassierte meine erste Kollekte für die Notleidenden." Das war im Winter 1947.

Der damals 34 Jahre alte Prämonstratensermönch Werenfried van Straaten aus der flandrischen Abtei Tongerlo wurde - Not und Elend der Menschen in den zerbombten deutschen Städten vor Augen - oft zu Vorträgen in Kirchen und katholischen Vereinen eingeladen. Eine der ersten Einladungen führte ihn zu einer Festveranstaltung eines christlichen Bäuerinnenvereins: "An jenem Nachmittag muß ich ziemlich gut gesprochen haben. Die Zuhörerinnen vergaßen Kaffee und Torten und konnten kein Wort herausbringen. Ich erklärte aufmunternd, daß jetzt der Moment der Kollekte gekommen sei. Aber mir fiel plötzlich etwas Besseres ein. Ich schlug vor, jede der Anwesenden sollte ein nicht zu klein bemessenes Stück Speck aus dem Kamin holen und es in den nächsten Tagen im Pfarrhaus abliefern." Als der Pater den Speck mit einem Auto abholen wollte, waren 28 Zentner zusammengekommen. Das, was Werenfried nun die "Speckschlacht" nannte, hatte begonnen.

Der Pater zog durch Flandern, sprach nicht nur in Kirchen und bei Kaffeetafeln, sondern auch auf Marktplätzen. Um die Herzen der Flamen zu rühren, kam ihm zugute, daß er, der aus den Niederlanden stammte, in der deutschen Besatzungszeit (1940/44) als Seelsorger neutral geblieben war. Er hatte Freunde sowohl beim belgischen Widerstand als auch bei jenen, die mit Deutschland sympathisiert oder kollaboriert hatten. Dennoch war es oft nicht leicht, Ressentiments gegen die Deutschen zu überwinden.

Werenfried sammelte vor allem Speck und Geld. Die Novizen von Tongerlo arbeiteten sich Woche für Woche durch die eingesammelten Speckberge, schnitten die Stücke auf Maß und sandten unzählige Kartons und Kisten nach Deutschland. Um die Hilfsaktion auch außerhalb der kalten Jahreszeit durchführen zu können, schickte Werenfried jedem flämischen Bauern einen Brief ins Haus mit dem Vorschlag, der Bauer möge Bauch- und Rückenspeck eines gemästeten Schweins für die hungernden Deutschen abtreten. Mit den Schlachthöfen vereinbarte der Pater dann entsprechende Gutschriften, so daß das Hilfswerk auf eine noch breitere Grundlage gestellt werden konnte. So organisierte der Pater auch die Versendung von Wurstkonserven in großen Mengen nach Deutschland.

Sehr schnell hatte der Mönch einen Spitznamen: "Auf einer Großkundgebung in Turnhout nannte mich eine Bauersfrau von enormen Ausmaßen zum erstenmal 'Speckpater'. Eine katholische Zeitung brachte diesen Ehrentitel als fette Schlagzeile über einem Interview."

In besonderer Weise kümmerte sich der "Speckpater"  um die Seelsorge unter den heimatvertriebenen Deutschen. Seine Sorge galt den "Rucksackpriestern" aus den Vertreibungsgebieten, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad ihre nun verstreuten früheren Gemeindemitglieder zu seelsorglicher Betreuung aufsuchten und sich dabei gesundheitlich in vielen Fällen ruinierten. Es galt, diese überforderten Priester zu motorisieren. In den ersten zwei Monaten der Aktion konnte Werenfried bereits 200 Volkswagen an "Rucksackpriestern" übergeben. Mit Hilfe der niederländischen Katholiken organisierte der Pater den Bau und den Einsatz von Kappellenwagen, fahrenden Seelsorgestationen für kirchenlose Diaspora-Gebiete. "Ostpriesterhilfe" nannte er dieses Hilfswerk.

Pater von Straaten richtete seinen Blick auch auf die verfolgte Kirche im Ostblock. Um eine möglichst umfassende Hilfsaktion zu organisieren, begann er ab 1952 auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu predigen. Wer diesem Priester je bei solchen Predigten zuhörte und ihn dann mit dem großen Schlapphut Geld einsammeln sah, mußte diesen Herold unbedingter christlicher Nächstenliebe bewundern.

In Deutschland startete Werenfried 1953 ein weiteres Experiment. Er wurde zum Vater des Internationalen Bauordens. Um die bittere Not von Flüchtlingen und Vertriebenen zu lindern (oft lebten diese Menschen noch zusammengepfercht in Baracken) und um auch in anderen Fällen gegen das Wohnungselend anzugehen, sollten junge Christen freiwillig auf Zeit beim Bau menschenwürdiger Wohnungen mitwirken. Auf diese Weise sollten auch kinderreiche Familien früher und billiger an Wohneigentum gelangen.

In diesem Jahr 1953 arbeiteten über 600 Baugesellen aus Flandern, Wallonien und Deutschland auf 106 Baustellen in der damaligen Bundesrepublik. In den folgenden Jahren kamen junge Menschen aus anderen europäischen Ländern hinzu, bald wurden auch Bauprojekte außerhalb Deutschlands berücksichtigt.

Seine Hilfsaktionen erfaßte der Pater zusammen in dem weltweit wirkenden Hilfswerk "Kirche in Not", das dem Heiligen Stuhl unterstellt ist. Am 31. Januar 2003 starb Werenfried van Straaten.

Seinem Ordensnamen "Werenfried" (Kämpfer für den Frieden) hat dieser große moderne Bettelprediger alle Ehre gemacht. Unvergeßlich bleibt seine unverwechselbare Art, die Menschen anzusprechen: "Mit dem  Himmel gibt es keinen Postverkehr. Wer dem lieben Gott einen Brief schreiben will, muß ihn an einen Menschen adressieren, in dem Gott wohnt."

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