© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Im Hochofen des Kalten Krieges
Jörg Friedrich schildert in seinem Buch "Yalu" das Umfeld des Koreakriegs und die Gefahren einer nuklearen Eskalation
Detlef Kühn

Der Yalu ist der Grenzfluß zwischen (Nord-) Korea und der chinesischen Mandschurei. Man erwartet somit bei einem Buch mit diesem Titel in erster Linie eine Geschichte des koreanischen Nord-Süd-Konflikts, in dem die zeitgeschichtliche Forschung in den letzten zehn Jahren bemerkenswerte Details vor allem über die Rolle Stalins vorgelegt hat. Der Innsbrucker Historiker Rolf Steininger widmete diesem Komplex vor zwei Jahren eine interessante Studie (JF 41/06).

Das hier anzuzeigende Buch von Jörg Friedrich geht über diesen Rahmen hinaus und hat einen anderen Charakter. Es handelt sich um ein faszinierend geschriebenes Lesebuch über den Kalten Krieg der Jahre 1945 bis 1955, also in einer Zeit, als die Gefahr des Umschlagens in einen "heißen" dritten Weltkrieg besonders groß war. Adressat ist nicht der Fachmann, sondern der historisch interessierte Laie, der erfährt, wie primitiv oft Entscheidungen von Weltrang (Krieg oder Frieden? Einsatz von Atomwaffen?) vorbereitet werden und wie banal meist die Motive der Handelnden sind - falls er das noch nicht gewußt haben sollte.

Das erste Drittel des Buches widmet sich der Vorgeschichte sowie den politischen und waffentechnischen Rahmenbedingungen des Koreakriegs. Unter den Präsidenten Roosevelt und Truman hatten die USA seit der Konferenz von Jalta den sowjetischen Diktator Josef Stalin händeringend gebeten, sich doch unter Bruch seines Freundschafts- und Nichtangriffsvertrages mit Japan an der Besetzung Japans und an der Entwaffnung seiner Truppen vor allem in Korea zu beteiligen. Diese Bitte erfüllte er ihnen in letzter Minute, als Japan durch den Einsatz der Atombombe bereits reif zur Kapitulation war. Seitdem standen Stalins Truppen in Korea am 38. Breitengrad, was ein Vorschlag amerikanischer Offiziere war, den Stalin gnädig akzeptierte. Daß er nördlich dieser Linie umgehend ein kommunistisches Regime etablieren würde, hatte Truman nicht bedacht.

Ihm schwebte ein treuhänderisches Kondominium über ganz Korea vor, in dem die USA gemeinsam mit "Uncle Joe" und unterstützt von den Briten, die dort bislang überhaupt noch nicht in Erscheinung getreten waren, die von den Japanern kolonialisierten unmündigen Koreaner zur Demokratie und zur Entwicklung ihrer eigenen Nation führen würden. Das mißlang gründlich; statt dessen entwickelte sich im Norden eine "Volksdemokratie" nach kommunistischem Muster und im Süden ein korruptes Polizeiregime unter Syngman Rhee, das sich auf Großgrundbesitzer und Kollaborateure der Japaner stützte. Bemerkenswert war vor allem die Naivität und Hilflosigkeit der Amerikaner, die im Schnellkurs und unter schmerzhaften Bedingungen lernen mußten, daß sie im Zweiten Weltkrieg sowohl in Ostasien als auch in Europa zwar die Feinde Japan und Deutschland besiegt hatten, dafür aber nun die sich als weitaus gefährlicher erweisenden Kommunisten in der Sowjetunion und in China am Hals hatten.

Folgerichtig spielten die Koreaner, um deren künftiges Schicksal es allenfalls anfangs noch ging, im Verlauf des Koreakrieges (1950-1953) immer weniger eine Rolle. Sie waren schließlich nur noch Opfer. Ansonsten handelt es sich vor allem aus der Sicht Stalins um einen Stellvertreterkrieg, in dem er sowohl seine chinesischen "Freunde", die er fürchtete, als auch seine westlichen Feinde über Jahre hinweg bluten lassen konnte. Beide Seiten hatten Gelegenheit, die jeweils modernsten (konventionellen) Waffen auszuprobieren. Im Gegensatz zu Mao Tse-tung, dem Führer des kommunistischen China, der seine "Volksfreiwilligen" im Einsatz gegen die verhaßten Westler rücksichtslos verheizte, achtete Stalin jedoch sorgfältig darauf, daß die Sowjetunion nicht unmittelbar in die Kampfhandlungen einbezogen wurde. Er nutzte die gewonnene Zeit, um bei der Entwicklung von Atom- und Wasserstoffbomben mit dem Westen gleichzuziehen. Dabei erwies er sich als der eigentliche Stratege, während die Unfähigkeit zu strategischem Denken vor allem bei den Amerikanern auffällt. Man wußte zwar, daß man mit Atom- und Wasserstoffbomben ein riesiges Zerstörungspotential in Händen hielt, und spielte auch intensiv mit Plänen zu ihrem Einsatz gegen Rußland und China, wußte aber nicht, wofür die Vernichtung der halben Welt schließlich gut sein sollte. Um damit endgültig das Böse aus der Welt zu jagen?  Man muß  wohl heute noch Harry S. Truman dafür dankbar sein, daß er, der ja bereits den Einsatz von Atombomben in Japan zu verantworten hatte, dem Drängen seiner Militärs, allen voran der Volks- und Kriegsheld Douglas MacArthur, auf flächendeckenden Einsatz weiterer Massenvernichtungswaffen widerstand.

Jörg Friedrich schildert all diese komplexen Entwicklungen auf der Basis seiner umfangreichen Literaturkenntnis in einer teils blumigen, teils lakonischen Sprache, die häufig in Sarkasmus umschlägt. Die Fachhistoriker wird er damit kaum erfreuen. Politisch korrekt ist sein Buch genausowenig, wie es seine vorangegangenen Bestseller über den alliierten Bombenkrieg gegen die Deutschen waren. Man darf aber hoffen, daß Friedrichs eindringliche Schilderungen der historischen Abläufe gerade deswegen und wegen der Parallelen, die er häufig zu der Behandlung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg zieht, eine positive Wirkung auf die politische Bildung in der Bundesrepublik haben wird. Leider besteht wenig Grund anzunehmen, daß sich die Qualität der weltpolitischen Entscheidungen in den vergangenen fünfzig Jahren grundsätzlich gebessert hat.

Jörg Friedrich: Yalu. An den Ufern des dritten Weltkriegs. Propyläen Verlag, Berlin 2007, gebunden, 624 Seiten, 24,90 Euro

Foto: Die US-Generale Douglas MacArthur (links) und Courtney Whitney mit Präsident Harry Truman auf Wake-Island im Pazifik, Oktober 1950: Dem Drängen zum Atomwaffeneinsatz widerstanden

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