© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Geschichtspolitisch aufbereitetes "Weimarer Dreieck"
Ein Sammelband widmet sich den modischen "Raum"-Deutungen und offenbart Mißglücktes über deutsch-französisch-polnische Grenzräume
André Wille

Ein Sammelband mit dem Titel "Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion" scheint sich mitten im Strom modischer "kulturwissenschaftlicher" Deutung historischer Thematiken zu tummeln. Zumal wenn die Herausgeber versprechen, ihre "Raum"-Deutungen am konfliktreichen Verhältnis des "Weimarer Dreiecks" zwischen Frankreich, Deutschland und Polen zu veranschaulichen.  

Wer also glaubt, auf alte Fragestellungen aus der Tradition nationalhistorischer "Staatengeschichte" neue Antworten zu erhalten, wird auf recht unsanfte Art bitter enttäuscht. Denn die Beiträger verarbeiten nicht einmal die überwiegend konfusen, aber immerhin den guten Willen zur Innovation verratenden, vornehmlich angelsächsischen Erkundungen von "mental maps", wonach Territorien eigentlich bloße Kopfgeburten seien, nicht mehr als ein kollektives "Raumbewußtsein", aus dem sich freilich unangenehm handfeste Konflikte ergeben können. Zwar versuchen die Herausgeber in ihrer Einleitung, die von ihnen verheißene "Grenzforschung" in diesen Kontext einzupassen, klingeln auch hier mit den bekannten Namen wie Benedict Anderson und Ernest Gellner, vergessen natürlich auch nicht die Standardformel vom "konstruktiven Charakter des Nationalen und des nationalen Raumes", haben offenbar aber ganz vergessen, ihren Beiträgern aufzuerlegen, daß es ungefähr in diese Richtung gehen sollte. Doch eine solche Vorgabe war denn wohl zu vage. So erhielten sie ganz konventionelle Aufsätze, die sich unter gelegentlichen Verbeugungen gegenüber der "Vorurteils"-Forschung mit biederen Erzählungen deutsch-französischer, deutsch-polnischer "Grenzgeschichten" begnügen, die mitunter wie geschichtspolitisch aufbereitete Verlängerungen des von "Verständigungs"-Rhetorik umgarnten "Weimarer Dreiecks" wirken.

Da muß sich Andreas Kossert auch nicht mehr schämen, seine schon vielfach verwertete Darstellung des "Grenzraums" Masuren noch einmal unters Leservolk zu streuen. Wiederum ist es die für die "Generation Kossert" der nach 1970 geborenen Historiker so typische Verwendung des Wörtchens "vermeintlich", die "Beziehungsgeschichte" ins Irreale transponiert. Denn Polen ist an der deutschen Ostgrenze natürlich nur der "vermeintliche Feind" oder der "imaginäre Gegner". Dumm nur, daß selbst der streng propolnischen Kurs segelnde Kossert irgendwann im Verlauf seiner Schilderung der masurischen "Schlüsselregion" verdruckst im Nebensatz einräumen muß, daß die "polnische Gefahr" auch "real bestand". Das ändert nichts daran, daß er den Ursprung des Konflikts nicht etwa im vor 1870 schon mächtigen, aufschäumenden polnischen Chauvinismus sucht, sondern im "reichsdeutsch orientierten Nationalismus", der sich für ihn offenbar im luftleeren Raum und nicht etwa als Reaktion auf polnische Aspirationen formierte. Die deutsche Polen-Politik als "Abwehrkampf" zu begreifen, heißt für Kossert eben, der Propaganda des Ostmarkenvereins  aufzusitzen.

Um auch keine der unter SED-Propagandisten einst so beliebten Polemiken gegen die "Hakatisten" auszulassen, sieht Kossert den "Grenzkampf" in der ostpreußischen Provinz noch nach 1918 in den Händen "national-konservativ-monarchistischer" Kreise. Dabei übersieht er, daß die linksliberale Deutsche Demokratische Partei zwischen 1920 und 1932 Ostpreußens Oberpräsidenten stellte. Bei seinem Mitstreiter Thomas Serrier, der hier ansonsten wenig Erhellendes über "Historisches und räumliches Bewußtsein" im deutsch-polnischen Grenzraum zwischen Danzig und Oberschlesien offeriert und in einer verschwiemelten Dialogseligkeit endet ("Sich vom Anderen erzählen lassen"), kann Kossert hingegen nachlesen: "Der Grenzrevisionismus hinsichtlich der Ostgrenze des Reiches war ein gemeinsamer Nenner aller politischen Parteien der Weimarer Republik" - und zwar nicht einmal mit der "einzigen Ausnahme" der KPD, wie Serrier meint.

Was man sonst noch in diesem Band erfährt, etwa über "Erfindung von Grenzen" in der deutschen Reiseliteratur um 1800 oder über konfessionelle und soziale Abgrenzung im Eichsfeld des 17. und 18. Jahrhunderts, mag zwar weniger ideologielastig sein als insbesondere Kosserts Beitrag, aber als historiographische Aufklärung über den Anteil des räumliches Bewußtseins an unserem "Orientierungswissen" vermag das alles nicht zu überzeugen. Daß einem Werk mit solcher Thematik nur vier Karten beigegeben wurden, wirkt ebenfalls nicht als Empfehlung.                  

Etienne François, Jörg Seifarth, Bernhard Struck (Hrsg.): Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2007, broschiert, 320 Seiten, 37,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen