© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Befreit vom muffigen Geruch der Gemeinschaftskunde
Günter Maschke über Carl Schmitts Stellungnahmen zum "Ruhrkrieg" und den "Begriff des Politischen"
Raimund Dapp

Auf 300 Bücher und 4.000 Aufsätze schätzt Günter Maschke den Umfang der bisher publizierten "Sekundärliteratur" zum Werk des deutschen Staats- und Völkerrechtlers Carl Schmitt (1888-1985). Wöchentlich kommt Nachschub, mittlerweile auch aus Rußland, China, Korea und anderen exotischen Regionen.

Der internationale Forscherfleiß vermag Maschke, Editor und konkurrenzlos bester Kenner des Œuvre, indes wenig zu beeindrucken. Denn so unübersehbar wie ärgerlich sei inzwischen die Tendenz, Schmitt zu "enthistorisieren, entkonkretisieren, entpolitisieren". Am Beispiel des wirkmächtigsten Textes, "Der Begriff des Politischen", in erster Fassung 1927 veröffentlicht, führt der Exeget dies in einem nun endlich gedruckten römischen Vortrag aus dem Jahr 2002 aus (Neunzehnte Etappe, Bonn 2007).

Den "Begriff des Politischen", an dem sich Legionen von metapolitisch gestimmten Deutungsartisten recht erfolglos versucht haben, bezieht Maschke hier zurück auf Schmitts nur wenig ältere Stellungnahmen zur französischen Rheinlandbesetzung, zum "Ruhrkrieg", wie dies in der korrekten Wahrnehmung der Zeitgenossen hieß.

Daß kaum ein Schmitt-Interpret, jedenfalls keiner unter den bundesdeutschen Historikern, in diesem Fall die gute alte hermeneutische Regel befolgt, nach der Frage zu fragen, auf die der Text die Antwort ist, hat natürlich geschichtspolitische Gründe. Man muß nur einen Blick in ein beliebiges als "Standardwerk" gehandeltes Buch der Salewski, Kolb, Krüger, Winkler & Co. zur Außenpolitik der Weimarer Republik tun, um - wie Maschke in erfreulich polemischer Schärfe festhält - vom "muffigen Geruch der Gemeinschaftskunde" abgeschreckt zu werden.

Allenthalben sind die peinlichen Versuche zu registrieren, das Diktat von Versailles zu einem nicht aus dem Rahmen "europäischer Friedensschlüsse" fallenden Vertrag zu verharmlosen. Nicht selten stößt man auf eilfertig nachträgliche Legitimationsversuche, die die von den Siegern dekretierte "Alleinschuld" Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkrieges bestätigen wollen. Nie fehlt der Hinweis auf den vermeintlichen deutschen "Diktatfrieden" von Brest-Litowsk, der die Versailler Härte provoziert habe. Und stets bleiben die konkreten Auswirkungen des Versailler Diktats im -  günstigstenfalls! - Halbschatten. So etwa, wie Maschke anmerkt, im "weitverbreiteten Standardwerk" über die Weimarer Außenpolitik des Marburger Zeithistorikers Peter Krüger, das über alle diplomatischen Aspekte der Rhein- und Ruhrbesetzung unterrichtet, aber "so gut wie nichts" mitteile "über die Aggressivität der französischen Politik und den organisierten Terror in den besetzten Gebieten".

Kein Wunder, daß die Schmitt-Literatur, die ohnehin seit langem dazu neige, den Juristen und Politologen hinter den Literaten, Kulturkritiker oder politischen Theologen verschwinden zu lassen, den zeithistorischen Hintergrund der doch für den Tag und die Stunde geschriebenen, auf juristische Lösung von "Fällen" erpichten Texte nur zu gern ausblendet. Nicht zuletzt deswegen, um mit solcher Enthistorisierung den delegitimierenden Konsequenzen zu entgehen, die aus Schmitts politischen Diagnosen auch für die "heutigen Zustände" zu ziehen wären. Aber natürlich auch, um "die Freunde", von denen der "weltoffene" Bundesrepublikaner sich umstellt weiß, nicht mit "häßlichen" Erinnerungen zu quälen oder gar noch in Verdacht zu geraten, ex post den herrschender Meinung nach schnurstracks auf Auschwitz zurasenden deutschen "Radikalnationalismus" zu "rechtfertigen".

Aus Schmitts Bonner Perspektive, die er als Hochschullehrer an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zwischen 1922 und 1928 und somit selbst als Opfer des französischen Besatzungsregimes einnahm, müsse der "Begriff des Politischen" nicht als unverbindlich-allgemeine und meist besserwisserisch als "unzulänglich" kritisierte "Freund/Feind"-Unterscheidung, sondern als "Ideologie des Widerstandes" gelesen werden. Seine Broschüre über "Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik" (1925) sei daher "die Samenkapsel für spätere, weitaus bekanntere Arbeiten Carl Schmitts". Der "Choc der Rheinlandbesetzung" und ihre Verschärfung im Ruhrkrieg habe Schmitt als "politischen Denker" also überhaupt erst erschaffen.

Im täglichen Studium des französischen Imperialismus, den Schmitt-Interpreten als solchen nun einmal zu thematisieren wagen müßten, entwickelte der Staatsrechtler seine "Theorie des Imperialismus", erkannte er die völkerrechtlich neuen Methoden seiner Durchsetzung, sowie die neuen Formen seiner Herrschaft, zu denen die Definitionsgewalt über "alle wesentlichen Begriffe für die Existenz des beherrschten Staates" ebenso zählt wie die Macht, "alle wichtigen Begriffe unbestimmt lassen zu können" und "Feindschaft" zu verschleiern. Die berühmte "Unterscheidung von Freund und Feind", so Maschke, lasse sich dann als Antwort auf diese getarnte Ausweitung "des Politischen" verstehen. Denn je mehr der Prozeß der "Verschleierung" im Zeichen des modernen Imperialismus fortschritt, "desto dringlicher wurde die Unterscheidung von Freund und Feind". Aus dieser Bedrängnis entstand Schmitts "Begriff des Politischen".

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