© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/08 01. Februar 2008

Vergessene Versprechen
Landtagswahlen: Linkes Kampfgetöse um die politische Kultur
Karl Feldmeyer

Dieser Wahlsonntag wird lange in Erinnerung bleiben, denn er hat eine Veränderung in den Machtstrukturen der Bundesrepublik eingeleitet. Nach dem Stadtstaat Bremen ist die aus WASG und PDS hervorgegangene Linkspartei nun auch in den Landtagen von Niedersachsen und Hessen vertreten. Damit ist sie in neun der sechzehn Bundesländer präsent. In Hamburg wird sich am 24. Februar, in Bayern am 28. September zeigen, ob sie ihr Ziel erreichen kann, in ganz Deutschland zu einem Machtfaktor zu werden.

Das spektakulärste Ereignis dieses Wahlsonntags war die Niederlage der CDU in Hessen. Ihr Verlust von 12,1 Prozent ist vor allem Ausdruck tiefer Antipathie für ihren Vorsitzenden Koch. Seinen Gegnern gelang es, ihn als Ausländerfeind abzustempeln und zur Unperson zu machen, so wie einst Alfred Dregger. Kochs Niederlage hat weitreichende Bedeutung. Sie wirft die Frage auf, ob die CDU künftig all das vermeiden wird, was als konservativ gilt und linke Kritik auslöst.

Mit 36,8 Prozent blieb die CDU zwar um Haaresbreite, nämlich um 0,1 Prozent stärkste Partei vor der SPD. Zusammen mit der FDP könnte sie weiterregieren, wenn nicht die Linken ebenfalls in den Landtag gekommen wären. So vollendet der Erfolg der Linken die Niederlage der CDU. Unter ihm leidet aber auch die SPD. Sie muß sich nun auf eine verstärkte Konfrontation mit ihr einrichten, denn SPD wie Linke konkurrieren um die gleiche Wählerklientel. So nimmt sich der Erfolg in Hessen für den SPD-Vorsitzenden Beck weit mehr als Problem aus.

Das Ausmaß des Stimmenverlustes in Hessen läßt der CDU ihr niedersächsisches Ergebnis als Erfolg erscheinen. Tatsächlich steht aber neben dem Erhalt der Regierungsmehrheit der Verlust von 5,8 Prozentpunkten an Stimmen. Dennoch kann sich Wulff darüber freuen, als Sieger gefeiert zu werden, und zwar nicht nur als Wahlsieger, sondern - was parteiintern noch wichtiger ist - vor allem als Anwärter auf Führungsaufgaben in Berlin; oder um konkret zu werden, als potentieller Nachfolger von Kanzlerin Merkel, falls dieses Thema virulent werden sollte - was derzeit noch nicht zu erkennen ist. Aber derlei kann sich ändern; insbesondere in Wahlzeiten, zumal Merkel als Wahlkämpferin und Rednerin bislang nicht überzeugt hat und 2005 nur um einen Prozentpunkt an einer Niederlage vorbeigeschrammt ist. Das nährt unionsintern Zweifel an ihr.

"Ich will fünf Jahre Ministerpräsident bleiben", versicherte Wulff, als er am Wahlabend nach seinen Plänen gefragt wurde. Dennoch gilt er von nun an als die Nummer eins hinter Merkel in der CDU. Alles, was er tut, wird von der CDU, insbesondere von Wulffs Parteivorsitzender, von nun an unter diesem Aspekt gewertet.

Bisher wurde Koch parteiintern in dieser Position gesehen. Das ist vorbei. Sein Wahlkampfkonzept, politisch heikle, aber für die Wähler akute Probleme unverblümt anzusprechen, so wie er es mit der erhöhten Kriminalität unter ausländischen Jugendlichen tat, gilt nun als gescheitert. Dabei ist diese Interpretation fraglich, denn Umfragen haben gezeigt, daß Kochs nicht wegen seiner Themen, sondern wegen eines Mangels an Glaubwürdigkeit bei den Wählern erfolglos blieb. Welche Konsequenzen die CDU aus Kochs Debakel für künftige Wahlkämpfe zieht, wird man sehen.

Was die SPD von der CDU nunmehr erwartet, formulierte Andrea Ypsilanti noch am Wahlabend so: "Wir haben für eine andere politische Kultur gekämpft, und wir haben gewonnen", sagte sie und fügte hinzu: "Die CDU sollte es auf Bundesebene nicht noch einmal probieren." Das klang weniger nach einem Rat, als nach einer Drohung. Was Ypsilanti als krasse SPD-Linke mit politischer Kultur umschreibt, heißt ansonsten Political Correctness, und was das ist, das zu bestimmen, beansprucht die Linke bekanntlich für sich. Dazu gehört die Frage, ob und wie politische Probleme öffentlich thematisiert werden dürfen - und wie nicht. Wer das wie Koch ignoriert, verstößt aber gegen die "andere politische Kultur".

Deshalb ist die Frage, wie die CDU künftig politische Themen anspricht oder ausblendet, nicht nur eine wahltaktische. Das von Helmut Kohl 1982 gegebene Versprechen einer "geistig-moralischen Wende" ist lange vergessen. Die CDU hat den Anspruch fallengelassen, Einfluß auf die Wertmaßstäbe der Gesellschaft zu nehmen. Wertrelevante Fragen werden seit langem von den Grünen beantwortet. Das ist die tiefste Ursache der schwindenden Gestaltungskraft der Union.

Dabei wird es wohl bleiben. Seit Jahrzehnten haben für die CDU nicht anders als für FDP und SPD Machterwerb und Machterhalt nahezu totale Priorität gegenüber inhaltlichen und wertbezogenen Fragen. Dementsprechend ist ihr Führungspersonal geprägt. Wo sind denn Persönlichkeiten, die bereit und fähig wären, für ihre Überzeugung zu kämpfen und dabei den Verlust der Macht in Kauf zu nehmen?

Wer überzeugen will, der muß selbst eine Überzeugung haben, die sein Streben nach Macht legitimiert. Das ist ein Anspruch, der die meisten professionellen Politiker überfordert, nicht nur der CDU, sondern auch anderer Parteien. Sie sehen Politik taktisch. Herausforderungen nehmen sie in aller Regel erst dann an, wenn sie müssen. Die aber gehen meist von denen aus, die neu auf die politische Bühne drängen.

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