© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/08 01. Februar 2008

Pankraz,
Leo Trotzki und die Müllverbrennung

Viel Aufregung herrscht zur Zeit über die gigantischen Müllexporte  aus Süditalien nach Deutschland. Das sei, vernimmt man, ein für alle Beteiligten ziemlich blamables Geschäft. Wieso eigentlich? Müllexporte sind keine Folterexporte, wo lebendige Menschen beispielsweise aus den USA nach Ägypten oder Jordanien "exportiert" werden, um sie dort ordentlich durchzuprügeln und vernehmungsreif zu machen! Müllexporte sind prinzipiell ganz normale Geschäftsvorgänge zwischen modernen Volkswirtschaften.

Etwas anderes wäre es, wenn der Müll aus Neapel etwa nach Rußland geliefert würde, um dort in den Weiten Sibiriens zwar profitabel, doch umweltschädlich deponiert  zu werden. So aber geht er nach Bremerhaven und nach Gröbern bei Leipzig, wo gewaltige Müllverbrennungsanlagen allerneuesten Zuschnitts stehen, die Überkapazitäten haben und auf zusätzliche Kundschaft warten. Die Manager dieser Anlagen fragen nicht danach, ob ihre italienischen Vertragspartner von der neapolitanischen Stadtverwaltung oder von der Mafia kommen. Die Frage ließe sich wahrscheinlich gar nicht befriedigend beantworten.

Klar hingegen ist: In Deutschland gibt es seit langem eine ausgedehnte Müllbehandlungskultur mit hochdifferenzierter Gesetzgebung, die faktisch alles regelt, was zu regeln ist: Emissionswerte, Abfalltrennung, Sonderbehandlung von PVC, Glas, Batterien, elektronischen Bauteilen, Lacken, Staubteilen. Nur in Schweden, hat sich Pankraz belehren lassen, ist man noch einen Zahn besser, weshalb die Schweden im Augenblick auch die größten internationalen Geschäfte in Sachen Export von Verbrennungsanlagen und Import von Müll machen.

Die Müllverbrennung ist definitiv zum Hauptinstrument für die  Reinhaltung der Umwelt geworden. Einfach Deponien anzulegen wie früher üblich, geht nicht mehr angesichts der schieren Masse des Abfalls und seiner Gefahren für Gesundheit und Landschaftspflege. Das berühmte "Recyclen", das Wiederverwendbarmachen, kann sich natürlicherweise nur auf einen kleinen Teil des anfallenden Materials erstrecken. Der Hauptanteil muß zum Verschwinden gebracht bzw. dramatisch reduziert werden, und das schafft allein die Kraft der Flammen.

Wer will, kann darin hohe Symbolik sehen. Seit Urzeiten und bei allen Völkern galt die Flamme als Inbegriff der Reinheit, der Reinigung und der Erneuerung via Selbstzerstörung, siehe den Vogel Phönix, der sich in Abständen selbst verbrennt, um aus der Asche wiederaufzuerstehen. Die Flamme verwandelt Körper in Geist, Willen in Tat. Einigen Religionen war sie so heilig, daß ihre verwandelnde Wirkung für Totenkult und Menschenopfer reserviert war. Nie wäre es den Alten in den Sinn gekommen, sie zur Tilgung von Schrott, Müll, Überflüssigkeit einzusetzen.

Freilich gab es in alten Zeiten kaum je Überflüssiges. Fast alle archäologisch interessanten Hinterlassenschaften früherer Zeiten sind wertvolle Grabbeigaben, stammen keineswegs von antiken oder mittelalterlichen Müllhalden, die es eben nicht gab. Außer (toten und manchmal auch lebendigen) Menschen und außer eroberten feindlichen Städten verbrannte man nichts: Wenn man es doch einmal tat, so nicht, um eine Sache zum Verschwinden zu bringen, sondern um sie planvoll zu verwerten. Beispiel ist der Kamelmist, der von den südlichen Nomadenstämmen sorgfältig gesammelt und schließlich angezündet wurde, um wärmendes Lagerfeuer zu erzeugen.

Müllproduktion ist ein ausgesprochen neuzeitliches Phänomen. Die moderne, strikt arbeitsteilige und auf Verbrauch und Profit angelegte Massenproduktion mit ihrer Tendenz zu dauernden  Neuerungen und wechselnden Moden läßt Produkte regelmäßig veralten, setzt sie außer Kurs, macht sie unbrauchbar oder zumindest "altmodisch" bis hin zur Lächerlichkeit. Sie landen auf dem Müll, und je mehr Verbraucher und Neuerungen erscheinen, um so höher werden die Müllberge, welche allmählich anfangen zu stinken und die Bäche zu vergiften.

So kommt die Stunde der Müllverbrennung. Die heilig-reinigende Flamme der Zarathustra-Jünger und Feueranbeter wird zum simplen Hausknecht, der Abfallmassen beseitigen muß, derer man anders nicht mehr Herr wird. Die erste deutsche Müllverbrennungsanlage (wahrscheinlich die erste in der Welt überhaupt) entstand 1893 am Hamburger Bullerdeich; es folgten entsprechende Anstalten in Berlin, Dresden, Breslau. Heute gibt es hierzulande schon 75 riesige, hocheffiziente Müllverbrennungsanlagen.

Immer ausgedehnter und raffinierter werden die Konstruktionen. Eine Anlage besteht aus mindestens fünfzehn Einzelsystemen. Wiegestationen, Müllbunker, Energieerzeuger,  sogenannte "Wäscher" (z.B. gegen Salzsäure) gehören dazu, und jedes System erfordert den Einsatz qualifiziertester Wissenschaftler und witzigster Erfinder. Eine ganze eigene Müllbearbeitungs-Rhetorik hat sich entwickelt, die auch schon in die Alltagssprache und in den Jargon von Politikern und allen möglichen Agitatoren einsickert.

Bekannt geworden ist wohl zuerst die Phrase vom "Müllhaufen der Geschichte", auf dem jeweilige Widersacher "enden" werden. Der Bolschewiken-Häuptling Leo Trotzki war es, der sie als erster gebrauchte, als nämlich - genau vor neunzig Jahren - im Taurischen Palast in St. Petersburg der sogenannte Allunionskongreß der Räte zusammentreten wollte, in dem die Bolschwiken keine Mehrheit hatten. Er wurde von Trotzkis Kronstädter Matrosen mit Bajonetten auseinandergejagt, und Trotzki höchstpersönlich rief den Delegierten hinterher: "Ihr werdet alle auf der Müllhalde der Geschichte enden!"

Er rief nicht: "Ihr werdet alle in der Müllverbrennungsanlage enden" (obwohl viele dieser Delegierten und dazu auch noch die sie verjagenden Matrosen kurze Zeit später tatsächlich  von Trotzki & Co. umgebracht wurden). Müllverbrennung und Revolution passen nicht zueinander. Eher schon Müllverbrennung und Konstruktion.

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