© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/08 01. Februar 2008

Deutsch-polnische Entrümpelungen
In Krotoschin, einer bis 1919 zur Provinz Posen gehörenden Kleinstadt, beginnt man sich der deutschen Spuren zu besinnen
Richard Hausner

Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war etwas mehr als ein Drittel der Bewohner der preußischen Provinz Posen deutsch. An der Grenze zu Niederschlesien lag der Anteil allerdings weit darüber. So stellten die Deutschen in Krotoschin (Krotoszyn) um 1905 etwa ein Drittel der Bevölkerung, viele umliegende Dörfer wurden sogar ausschließlich von Deutschen bewohnt. Von dieser einst dominanten Stellung der Deutschen war jedoch in der Zwischenkriegszeit unter polnischer Herrschaft schon nichts mehr zu spüren. 1938 bekannten sich in der Stadt weniger als vier Prozent zum Deutschtum. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war das Schicksal der Deutschen dann in der gesamten Provinz Posen besiegelt. Was im Kreis Krotoschin blieb, das waren vereinzelte Deutsche, die sich rasch assimilierten, sowie die erbauten Häuser, Fabriken, Kirchen oder Schulen. Und die evangelischen Friedhöfe, welche in der Regel der Natur überlassen wurden.

Es ist vor allem das Verdienst der "Freunde des Kreises Krotoschin" (www.krotoschin.de), daß wenigstens in zwei Gemeinden die Verwahrlosung der Friedhöfe gestoppt wurde. In Kobylin und in Königsfeld (Zalesie Wielkie) schuf man Gedenkstätten mit Tafeln in polnischer und deutscher Sprache. Auch in der 30.000 Einwohner zählenden Kreisstadt Krotoschin selbst darf man jetzt auf eine Gedenkstätte hoffen. Der stellvertretende Bürgermeister Franciszek Marszałek (PSL - Polnische Volkspartei, die auf nationaler Ebene mit Donald Tusks PO die Regierungskoalition bildet) ist zuversichtlich, den traurigen Zustand des mit Müll übersäten evangelisch-deutschen Friedhofes noch in diesem Jahr zu beenden.

Mit dem in Ostrowo (Ostrów Wielkopolski) ansässigen evangelisch-augsburgischen Pastor Krzysztof Rej, dessen Kirche - der schon zu preußischer Zeit mehrheitlich Polen angehört hatten -  die Eigentumsrechte erwarb, wurde die symbolische Umbettung einiger Gebeine an einen zentralen Platz innerhalb des Friedhofgeländes vereinbart. An dieser Sammelstelle sollen ein Kreuz und eine Gedenktafel angebracht werden. Auf der restlichen Fläche will die Gemeinde, welche über die Nutzungsrechte verfügt, einen Park anlegen. Besonderen Einsatz, die unwürdigen Verhältnisse auf dem Friedhof zu verbessern, zeigte Romana Hyszko, die Chefredakteurin der 1990 aus der Solidarność-Bewegung hervorgegangenen Wochenzeitung Rzecz Krotoszyńska (www.rzeczkrotoszynska.pl). Unermüdlich beklagte die 54jährige in über fünfzig Artikeln den bedauernswerten Zustand der deutschen Begräbnisstätte und scheute sich auch nicht, die politische Gemeinde wegen deren Untätigkeit zu attackieren. Die Zeitung bewies die zunehmende Unbefangenheit, auch die deutsche Geschichte Krotoschins anzunehmen, bereits jüngst mit einer ganzseitigen Würdigung über die gebürtige Krotoschinerin Melitta Schiller (spätere Gräfin Stauffenberg), die berühmte deutsche Fliegerin im Zweiten Weltkrieg und Schwägerin des Hitler-Attentäters.

Auch die Anwohner sind verärgert über den unbefriedigenden Anblick, die Verschmutzung und die Saufgelage von Jugendlichen. Nachdem Rzecz Krotoszyńska am 8. Januar 2008 einen Beitrag über einen Deutschen aus München brachte, der spontan 500 Liter Müll beseitigt hatte, wurde der Artikel auf der Internetseite kommentiert und der Zustand des Friedhofs mehrheitlich als Skandal angeprangert. Als vor einigen Jahren die letzten noch gut erhaltenen Marmorgrabsteine gestohlen wurden, rief ein Anwohner die Polizei. "Aber denen war das egal, die haben überhaupt nichts unternommen", kritisierte der Mittvierziger, der regelmäßig mit seinem Hund über den Friedhof spaziert und sich über eine Parkanlage freuen würde. Noch immer erkennbar sind die Grabumfassungen, etwa zehn verteilt am Boden liegende Grabsteine verraten mit ihren Inschriften die deutsche Identität des Friedhofes.

Diese Grabsteine sollen ebenfalls der Gedenkstätte angehören. Pastor Rej hat nun eine Frist bis zum 30. Juni 2008 gesetzt. Bis dahin können sich Angehörige der Verstorbenen an ihn wenden (Anschrift: Parafia Ewangelicko-Augsburska, Ostrów Wlkp., ul. Kaliska 1/1a), wenn sie die Exhumierung bestimmter Verwandter wünschen. Bereits im Mai organisieren die "Freunde des Kreises Krotoschin" eine Busfahrt. Fest eingeplant ist ein Abstecher in das Dorf Hellefeld (Jasne Pole), wo eine weitere Gedenktafel an einem früheren deutschen Friedhof enthüllt werden soll.

Foto: Deutsche Gräber in Krotoschin: Müllberge und Saufgelage

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