© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/08 08. Februar 2008

In der politischen Defensive
Afghanistan: Verteidigungsminister Jung agiert ungeschickt / Kampfeinsatz rückt näher
Paul Rosen

Die deutsche Regierung redet sich die Lage in Afghanistan schön und verschweigt der Öffentlichkeit ein realistisches Lagebild. Will man Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) glauben, dann geht es am Hindukusch um Wiederaufbau und Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft. Liest man die Berichte anderer Streitkräfte, dann geht es um schwere Kämpfe gegen Einheimische, für die der Begriff Taliban wahrscheinlich nicht immer zutreffend ist. Viele Afghanen scheinen es leid zu sein, daß Ausländer - wieder einmal - ihr Land besetzt haben. Sie tun das, was sie in diesen Situationen immer getan haben: Sie greifen zu Gewehr und Sprengstoff.

Es geht schon lange nicht mehr um den Bau von Schulen oder Hospitälern oder das Bohren von Brunnen. Im Süden Afghanistans, dort, wo die Deutschen nach Vorstellung der  amerikanischen Regierung auch hinsollen, schießen die westlichen Streitkräfte gegen "Aufständische" mit Panzerhaubitzen vom deutschen Typ PH 2000. Die haben eine Reichweite von 50 Kilometern. Die kanadischen Streitkräfte setzen schwere Panzer ein, die einstmals die Panzertruppen des Warschauer Pakts in der norddeutschen Tiefebene aufhalten sollten. Und das alles gegen ein paar versprengte Taliban?

Längst ist aus dem Anti-Terror-Einsatz am Hindukusch ein Krieg geworden, in den der Westen wie einst die Sowjets in dem Land oder die Vereinigten Staaten in Vietnam immer tiefer hineingezogen werden. Wie bei einer Salami-Taktik wurde auch das deutsche Engagement erhöht: Erst war die Bundeswehr nur in Kabul, dann ging es weiter in den Norden, nach Kundus, Feisabad und Masar i Sharif. Dann kamen Aufklärungsflugzeuge hinzu, und künftig wird die Bundeswehr auch die von den Norwegern abgegebene Schnelle Eingreiftruppe (QRF) mit etwa 250 Soldaten im Norden übernehmen.

Die Vereinigten Staaten und andere Verbündete wollen einen größeren deutschen Einsatz. Rechtzeitig vor dem Nato-Verteidigungsministertreffen und der Münchener Sicherheitskonferenz trudelte in Berlin ein Brief des amerikanischen Verteidigungsministers Robert Gates ein, in dem dieser sehr deutlich mehr deutsches Engagement forderte. Jung und die Bundesregierung taten überrascht und zeigten sich brüskiert. Dabei hätte der Verteidigungsminister fest davon ausgehen müssen, daß die Vereinigten Staaten vor der Münchener Sicherheitskonferenz etwas unternehmen würden. Statt selbst diplomatisch die Initiative zu ergreifen und vielleicht einen Zeitplan für ein Afghanistan-Engagement vorzuschlagen, wartete Jung die Schelte aus Washington ab. Der frühere hessische Landespolitiker Jung ist auch im dritten Berliner Jahr noch nicht in seinem Amt angekommen. Von internationaler Politik versteht er nichts.

Und seit seinem Amtsantritt dementiert Jung Berichte über Ausrüstungsmängel der Bundeswehr. In seinem Hausblatt Welt am Sonntag bezeichnete er die sich wieder häufenden Mängelberichte als "ärgerlich". Dabei sind die Mängel seit Jahren bekannt und in jedem Einsatzbericht der jeweiligen Kontingente der Bundeswehr nachzulesen: Es fehlen Hubschrauber. Der Lufttransport mit Flugzeugen bricht teilweise zusammen, weil die Flugzeuge überaltert sind. Neue Maschinen werden jetzt übrigens gekauft - aber nur für den sicheren Transport von Politikern. Die Panzerung der Fahrzeuge entspricht nicht dem neuesten Stand. Neue Fahrzeuge werden zwar beschafft, aber in zu geringer Stückzahl. Der frühere Generalinspekteur Harald Kujat, der wenigstens nach seiner Pensionierung den Mund aufmacht, sprach von "gravierenden Ausrüstungsdefiziten". Jung wies die Kritik zurück: "Ich schicke keinen Soldaten in einen so riskanten Einsatz, wenn er nicht gut ausgerüstet und ausgebildet ist."

Selbst den Profis für alles, was knallt und explodiert, kommen langsam Ahnungen, daß es der westlichen Allianz in Afghanistan so gehen könnte wie einst den Sowjets: Horst Teltschick, der Veranstalter der Münchener Sicherheitskonferenz, auf der sich am Wochenende wieder Generäle aus aller Welt die Hand reichen werden, sorgt sich, daß Afghanistan zum "Abenteuer" werden könnte. Von einem glücklichen Ausgang dieses Abenteuers sprach er nicht.

Foto: Bundeswehrpatrouille in Nordafghanistan: Der Druck auf die Bundesregierung wächst

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