© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/08 15. Februar 2008

Rückkehr auf den Boden der Tatsachen
Verteidigungspolitik: Viel Harmonie und wenig Dissonanzen auf der 44. Münchner Sicherheitskonferenz / Russische Charmeoffensive
Hans Brandlberger

Alljährlich an einem Wochenende im Februar verwandelt sich das Gebiet um den Promenadeplatz im Münchner Stadtzentrum in eine von starken Polizeikräften hermetisch und rigoros abgeschirmte Festung.

In ihr, im eigentlich gar nicht auf Zusammenkünfte dieser Hausnummer ausgerichteten Hotel Bayerischer Hof, versammelt sich dann ein internationales Publikum, das ansonsten eher die Gipfeltreffen unserer Zeit bevölkert: Regierungsvertreter, Parlamentarier, Manager, Repräsentanten von Think Tanks und natürlich Medienvertreter zuhauf aus aller Herren Länder - vor allem, aber längst nicht mehr ausschließlich, aus den Vereinigten Staaten sowie dem "alten" und dem "neuen" Europa. Die Veranstaltung, die sie besuchen, ist aber, auch wenn sie aus dem Bundeshaushalt finanziert wird, nicht offizieller Natur: Die Münchner Sicherheitskonferenz, die in diesem Jahr bereits zum 44. Mal ausgerichtet wurde, ist als ein Forum für den Meinungsaustausch konzipiert und keine Institution in den internationalen Beziehungen, die auf Beschlüsse und Kompromisse ausgerichtet wäre, wenngleich auch dort diplomatische Rücksichtnahmen das freie Wort im Zaum halten.

Dies um so mehr, als das, was im Plenum gesprochen und diskutiert wird, der Öffentlichkeit nicht verborgen bleibt und auch gar nicht verborgen bleiben soll. Horst Teltschik, Kanzlerberater in der Ära Kohl und später BMW-Vorstand, der die Konferenz zehn Jahre lang organisierte und den Stab nun an den derzeitigen deutschen Botschafter in London, Wolfgang Ischinger, weiterreichte, sieht in ihr sogar explizit ein Instrument, die nicht allein in Deutschland eher spärlich entwickelte sicherheitspolitische Diskussion ein wenig zu befruchten.

In der Tat hat sie dies immer wieder vermocht, etwa im Vorfeld des Irak-Krieges oder in den jüngsten Jahren im Zuge der Verunsicherung, die im Westen hinsichtlich des Kurses aufgetreten ist, den Rußland unter Präsident Putin eingeschlagen hat.

Standfestigkeit trotz Gegenwind

In diesem Jahr durfte nun vermutet werden, daß sich die Spannungen zwischen Deutschland und den Nato-Partnern ob der vermeintlichen Drückebergerei entlüden, der sich Berlin in Afghanistan schuldig mache. Dazu ist es nicht gekommen. Sowohl Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) als auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) stellten frei von jeglichem Kleinmut unmißverständlich klar, daß die Leistungen der Bundeswehr in Afghanistan, wo sie das drittgrößte Kontingent stellt, Anerkennung verdienen und eine Ausweitung des Engagements in den Süden über das bisherige Maß hinaus nicht in Frage kommt.

An ihrer Standfestigkeit ist trotz des Gegenwinds, den hochrangige Pensionäre im Generalsrang zu entfachen versuchen, nicht zu zweifeln, da sich der Blick der zur Koalition verdammten Volksparteien bereits auf die Bundestagswahl 2009 richtet und alle Umfragen eine klare Sprache sprechen: Auch wenn eine knappe Mehrheit der Bundesbürger den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr in seiner aktuellen Form noch gerade so unterstützen mag, ist doch die Ablehnung, auf die ein etwaiges Eingreifen in Kampfhandlungen im Süden stieße, erdrückend. Mehr als die soeben beschlossene, durch das bisherige Mandat abgedeckte Abstellung von 250 Soldaten zur für Einsätze im Norden bestimmten "Quick Reaction Force", die die hier momentan eingesetzten Norweger im Sommer ablösen sollen, scheint von Berlin bis auf weiteres nicht zu erwarten zu sein. Allerdings dementierte Jung Pressemeldungen, denen zufolge die Bundesregierung über eine Ausweitung des Mandats und die Entsendung von weiteren 1.000 Soldaten nunmehr in den Westen Afghanistans nachdenke, nicht ausdrücklich.

Auch dieser neuerliche Versuch der Nato, Deutschland mehr abzuverlangen - der vergangene hatte zu dem Einsatz von Tornado-Kampfflugzeugen zu Aufklärungszwecken geführt -, dürfte damit zu einem vertretbaren Preis abgeschmettert sein. Die Bündnispartner wissen sehr wohl, daß die Bundesregierung nicht freihändig über Einsätze der Bundeswehr entscheiden kann, sondern hierzu der Zustimmung des Bundestages bedarf. Angesichts der auch in den Regierungsparteien zu beobachtenden Zurückhaltung auf diesem Gebiet wäre es für sie sinnlos, den Druck zu erhöhen.

Der Formelkompromiß, der eine beiderseitige Gesichtswahrung erlaubt, lautet nun: Man will im Rahmen der Nato endlich ein umfassendes Sicherheitskonzept formulieren, das sowohl zivile als auch militärische Aspekte vereint. Eigentlich durfte vermutet werden, daß ein solches bereits den bisherigen Bemühungen zugrunde gelegen hätte, denn seit den vom Glamour Joschka Fischers beseelten Afghanistan-Konferenzen auf dem schönen Petersberg am Rhein wurde stets davon gesprochen, daß der wirtschaftliche und demokratisch-rechtsstaatliche Aufbau und die militärische Stabilisierung zwei Seiten ein und derselben Medaille seien. Nun stellt sich heraus, daß man erst auf dem Nato-Gipfel von Bukarest, möglicherweise aber auch noch später so weit sein wird, diese Binsenweisheit mit Leben zu erfüllen.

Die Sicherheitskonferenz geizte in diesem Jahr mit Überraschungsmomenten, und die Dissonanzen blieben unter der Decke. Statt dessen diente sie als Seismograph: Die Vereinigten Staaten kehren nach ihren Allmachtsphantasien auf den Boden der Tatsachen zurück und lassen eine neue Wertschätzung für die Nato erkennen. Rußland wiederum, dies führte der Auftritt des stellvertretenden Ministerpräsidenten Sergej Ikwanow vor Augen, hält nach Monaten des Muskelspiels offenbar eine neue Charmeoffensive für angebracht.

Foto: US-Verteidigungsminister Robert Gates (r.) in München: Die Spannungen zwischen den Nato-Partnern haben sich nicht entladen

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