© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/08 15. Februar 2008

Sultan Erdogan hält Hof
Ausländerpolitik: Besuch des türkischen Ministerpräsidenten als Machtdemonstration / Einflußnahme der Türkei in Deutschland
Michael Paulwitz

Wie ein Landesfürst auf heimatlichem Boden nahm der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag in Köln die Huldigung von 16.000 Landsleuten entgegen. Sie sollten sich nicht assimilieren, sondern Deutsch lernen, um zu den "Spitzen der Gesellschaft" aufzurücken und mehr Einfluß in der Politik zu bekommen. Fünf Millionen Türken in Europa außerhalb der Türkei seien "ein konstitutionelles Element und nicht nur Gäste" in ihren jeweiligen Aufnahmeländern. Das zielt vor allem auf Deutschland, wo rund die Hälfte von ihnen lebt - darunter offiziell etwa 1,75 Millionen türkische Staatsbürger und über vierhunderttausend Eingebürgerte.

Allein die Tatsache, daß eine innertürkische Wahlkampfveranstaltung dieser Größenordnung auf deutschem Boden unter faktischem Ausschluß der Einheimischen und der Landessprache stattfinden konnte, scheint diesen selbstbewußten Anspruch zu bestätigen. Erdogan hat offen ausgesprochen, was seit langem Tatsache ist: Ankara nutzt türkische Einwanderer, Medien und Organisationen in Deutschland, um Einfluß auf die Politik eines anderen Landes zu nehmen.

Vom Staat gesteuerte Zeitungen

Die Beeinflussung beginnt bereits dort, wo deutsche Politiker die Reaktion der zahlenstarken türkischen Population in relevante Entscheidungen einkalkulieren. Etwa, wenn 1998 die Bundesregierung aus Sorge vor Krawallen die Auslieferung des mit deutschem Haftbefehl gesuchten und in Italien festgenommenen Kurdenführers Abdullah Öcalan nicht beantragt. Das lange Zögern bei der Anerkennung des türkischen Armenier-Genozids und die stiefmütterliche Behandlung des Lepsius-Hauses in Potsdam gehört ebenso in diese Kategorie wie zuletzt die vorauseilenden Beschwichtigungen von hoher und höchster Ebene nach der Brandkatastrophe von Ludwigshafen.

Durch die vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereits in den neunziger Jahren eingeführte Anspruchseinbürgerung und die rot-grünen Änderungen des Staatsbürgerschaftsrechtes nimmt der Stellenwert türkischer Wähler stetig zu. SPD, Grüne und die kommunistische "Linke" werben gezielt um diese Klientel, unter anderem durch Unterstützung der Forderung türkischer Verbände und Regierungspolitiker nach Ausweitung der doppelten Staatsbürgerschaft und des Ausländerwahlrechts.

Nach der knapp für Rot-Grün entschiedenen Bundestagswahl 2002 versäumten die hier verbreiteten türkischen Medien es nicht, auf die möglicherweise wahlentscheidende Rolle ihrer Landsleute hinzuweisen. Auch in den Unionsparteien wächst so der Druck, auf diese Wähler einzugehen (JF 06/08). Erdogans Ermunterung in seiner Kölner Rede galt nicht zuletzt den wahlberechtigten Türken in Deutschland, deren Loyalität nach wie vor überwiegend dem Herkunftsland gehört.

Dazu trägt nicht zuletzt das Mediennutzungsverhalten der meist integrationsskeptischen Deutschland-Türken bei. Mehr als die Hälfte von ihnen greifen bei Zeitung, Radio und Fernsehen ausschließlich zu türkischsprachigen Anbietern. Nicht nur die via Satellit direkt aus dem Mutterland empfangenen TV-Sender, sondern auch die auf dem deutschen Markt angebotenen Printmedien unterliegen der Steuerung durch den türkischen Staat: "Das Deutschland-Bild, das hier vermittelt wird, und die politischen Kommentare sind nicht losgelöst von der türkischen Regierung zu betrachten", stellte der Grünen-Politiker Cem Özdemir bereits 2002 fest.

Im Zuge der Debatte um den türkischen EU-Beitritt zogen türkische Zeitungen und Politiker die Zügel an. Boulevardmedien scheuten sich nicht, "deutsche Politiker zu verleumden, deutsche Politik als ausländerfeindlich darzustellen und drastische Nazi-Metaphern zu verwenden", bemerkt Özdemir. Die Ludwigshafener Brandkatastrophe bot ein weiteres Lehrstück dieses Zusammenspiels: Auf das Stichwort des Ministerpräsidenten, der vor einem "neuen Solingen" warnte, peitschte die türkische Presse die Emotionen hoch, um anschließend von demselben Erdogan während seines Deutschland-Besuchs wieder gezügelt zu werden - eine doppelte Machtdemonstration.

Ähnlich effektiv spielen sich türkische Verbände in Deutschland und türkische Politiker in Ankara die Bälle zu, wenn es um die Durchsetzung gemeinsamer Interessen geht. Diese scheinen unter anderem im weiteren Anwachsen einer nur bedingt integrationsbereiten türkischen Parallelgesellschaft zu bestehen. Mit diplomatischem Flankenschutz des damaligen Außenministers und späteren Staatspräsidenten Abdullah Gül und von Regierungschef Erdogan liefen die Türkische Gemeinde in Deutschland und andere Verbände im Frühjahr 2007 Sturm gegen die Verschärfungen der Zuwanderungsgesetz-Novelle, die unter anderem Sprachtests für nachziehende Ehepartner aus der Türkei vorsah. Der Protest gipfelte im medienwirksamen "Boykott" des "Integrationsgipfels" im Kanzleramt, mit dem die Verbände sich zugleich die Unterstützung der Grünen sicherten. Die Strategie ist offenbar aufgegangen; während seines Besuchs in Ankara stellte Bundesinnenminister Schäuble wie zuvor schon die Kanzlerin weitere Lockerungen des Ehegattennachzugs in Aussicht.

Größter Anbieter von Integrationskursen

Die einflußreichste türkische Organisation in Deutschland, die zugleich direkt unter staatlicher Kontrolle steht, ist die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib). 1984 als Ableger des staatlichen türkischen Religionsamtes gegründet, ist Ditib Dachverband für fast 900 Ortsgemeinden und koordiniert die Arbeit von derzeit rund 400 Moschee-Imamen, die als türkische Beamte von der Regierung in Ankara entsandt und bezahlt werden.

Zugleich zählt Ditib zu den größten Anbietern der - vom deutschen Steuerzahler finanzierten - "Integrationskurse". Das Integrationsverständnis entspricht dem des türkischen Ministerpräsidenten; Ditib vertritt faktisch Interessen und Politik des türkischen Staates (JF 3/08). Während jüngst der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) im Streit um das größte Moscheeprojekt der Organisation an ihrem Hauptsitz in Köln-Elberfeld beteuerte, Ditib lebe den Islam "auf der Basis des Grundgesetzes", verzeichnen Kenner der Szene im Zuge der Re-Islamisierung des türkischen Staates durch Erdogans AKP auch eine zügige Annäherung von Ditib an die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs und andere Fundamentalisten.

Symbolisch für ihren Einfluß auf die deutsche Politik steht die von Ditib 2004 organisierte Demonstration von über 20.000 Muslimen in Köln, an der auch Claudia Roth (Grüne) und Günther Beckstein (CSU) teilnahmen. In Innenminister Schäubles Islamkonferenz spielt Ditib eine Schlüsselrolle. Im Kreise der westlichen Demokratien dürfte die privilegierte Stellung dieses verlängerten Arms einer fremden Regierung wohl ohne Beispiel sein.

Foto: Ministerpäsident Erdogan in der Kölnarena: "Nicht nur Gäste"

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