© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/08 15. Februar 2008

Entscheidungen nicht den USA überlassen
EU-Landwirtschaft: Gentechnikfreie Futtermittel sind noch ausreichend vorhanden, aber nur Nachfrage garantiert Angebot
Michael Howanietz

Der EU drohen seit vergangenem Monat Strafzölle in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro im Jahr, weil die in einigen Mitgliedsländern bestehenden Einfuhrverbote für genveränderte Produkte gegen die Verträge der Welthandelsorganisation (WTO) verstoßen. Das WTO-Schiedsgericht hat bereits vor zwei Jahren entsprechenden Klagen der USA, Kanadas und Argentiniens entsprochen und die nationalen Verbote für genveränderte Pflanzen (GVO) als unzulässiges Handelshemmnis gewertet.

Die EU-Kommission will zwar einlenken, findet aber nicht die notwendige qualifizierte Mehrheit bei den Mitgliedstaaten. Frankreich hat im Januar nun sogar ein nationales Anbauverbot für den seit 1998 in der EU zugelassenen Mon810-Mais des US-Konzerns Monsanto beschlossen. In Österreich durfte der umstrittene Genmais bislang nicht einmal zu Forschungszwecken angebaut werden. Dadurch dürfte sich der transatlantische Handelskonflikt weiter verschärfen. In Deutschland wird der US-Genmais vor allem in den mitteldeutschen Bundesländern angebaut. Insgesamt wachsen aber bislang nur auf etwa 0,2 Prozent der deutschen Maisfelder Genpflanzen.

Das könnte sich bald ändern, denn die EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel versucht nun, unter dem Vorwand steigender Lebensmittelpreise in Europa die Einfuhrbeschränkungen für GVO-Produkte aufzuweichen. Sonst drohe spätestens 2009 eine "dramatische" Teuerung für die zugelassenen Futtermittel, mahnte die dänische Rechtsliberale bei einer Anhörung im Landwirtschaftsausschuß des Bundestages. "Dann haben wir ein Problem, und dann müssen wir handeln", sagte sie mit Blick auf die prognostizierten Preissteigerungen speziell bei Fleisch.

Der grüne Europaabgeordnete Wilhelm Graefe zu Baringdorf hat jedoch schon vor Monaten die wahren Hintergründe der neuen Gentechnik-Offensive erhellt. Strenge Bestimmungen im Lebensmittelrecht und lange Zulassungsverfahren seien laut Futtermittelindustrie die Ursachen steigender Nahrungsmittelpreise, so der Vizevorsitzende des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung im EU-Parlament. Deshalb solle die Einfuhr billiger GVO-Futtermittel erlaubt und eine Toleranzgrenze für Verschmutzungen mit nicht zugelassenen GVO eingeführt werden.

EU-Kommission ist fast ausnahmslos pro Gentechnik

Doch wird ein Grenzwert erhöht und ist bald auch dieser nicht mehr zu halten, wären ökologische Produkte irgendwann von GVO-Erzeugnissen kaum noch zu unterscheiden. Das wäre der Anfang vom Ende der biologischen Landwirtschaft. "Die EU-Agrarminister dürfen sich keinen Bären aufbinden lassen", warnt Graefe zu Baringdorf. "Nach der jetzigen Rechtslage darf die EU die Entscheidung, was als unbedenkliches Lebens- und Futtermittel zugelassen ist, nicht an die Lebensmittelbehörden der USA abgeben", so der EU-Abgeordnete. "Es ist weiterhin genügend gentechnikfreies und zugelassenes Futter für unsere Tiere vorhanden. Aber gentechnikfrei wird eben nur so lange produziert, solange es nachgefragt wird."

Die steigenden Lebensmittelpreise sind laut Graefe zu Baringdorf auf ganz andere Faktoren zurückzuführen: Die geringe Maisernte Australiens sowie die steigende Biogas- und Bioäthanolproduktion in Europa und den USA seien ebenso zu nennen wie die verstärkte Fleischnachfrage der bevölkerungsreichen Schwellenländer. Die Nahrungsmittelversorgung für eine unaufhaltsam wachsende Weltbevölkerung dürfte weitere Preissprünge erwarten lassen.

Die strengen EU-Zulassungsverfahren für GVO könnten übrigens schon in einigen Jahren Geschichte sein. Denn 2007 unterschrieben die damalige EU-Ratspräsidentin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso in Washington eine Rahmenvereinbarung zum transatlantischen Binnenmarkt Tafta (Transatlantic Free Trade Area). In dieser ab 2015 geplanten Freihandelszone sind gemeinsame Zulassungskriterien der EU und der USA vorgesehen. Es läßt sich unschwer erahnen, welche Konsequenzen damit für das europäische Lebensmittelrecht verbunden wären, sobald private US-Prüfer, die keiner Regierungsbehörde unterstellt sind, darüber entscheiden, was auf den EU-Markt gelangt.

Einen ersten Erfolg konnten die Gen-Lobbyisten vergangenen Herbst landen. Obwohl anläßlich des EU-Umweltministertreffens am 30. Oktober 2007 fünfzehn gegen vier Staaten für die Beibehaltung der österreichischen Genmaisverbote stimmten, reichte dies nicht für eine "qualifizierte Mehrheit", was bedeutet, daß nun die EU-Kommission am Zuge ist, die ausnahmslos pro Gentechnik entscheidet. Und die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erteilt ihre Zulassungsbescheide ausschließlich auf Basis kaum objektiver Herstellergutachten. Daher kann sich etwa BASF berechtigte Hoffnungen machen, daß Brüssel die Gen-Kartoffel "Amflora" noch in diesem Jahr für die Landwirtschaft in der EU genehmigt.

Foto: EU-Agrakommissarin Fischer Boel: "Dann müssen wir handeln"

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