© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/08 15. Februar 2008

Milliarden ins Ausland
Geldtransfers von Migranten in die Heimat: Fluch und Segen
Carsten Kystofiak

Weltweit überweisen Zuwanderer pro Jahr 300 Milliarden US-Dollar in ihre alten Heimatländer. Das ist bedeutend mehr, als von den Industrienationen direkt in Entwicklungsländern investiert wird - und es ist mehr als doppelt soviel wie die offizielle Entwicklungshilfe.

Innerhalb der EU ist Deutschland das Hauptziel von Zuwanderern. Entsprechend gehört Deutschland neben den USA und Saudi-Arabien zu den drei Haupt-Quellenländern für den Geldtransfer in die Heimatländer von Migranten. Den höchsten Betrag überweisen die in Deutschland lebenden Türken (810 Millionen Euro im Jahr 2006), gefolgt von den Serben (221 Millionen) sowie Marokko und Vietnam mit jeweils rund 49 Millionen Euro.

Doch dabei kassieren die Banken kräftig mit: Wer beispielsweise hundert Euro nach Albanien überweist, zahlt dafür laut Spiegel je nach Kreditinstitut zwischen 1,50 (Online-Banking der Post) und 40 Euro (Sparkasse Bochum). Am teuersten sind Überweisungen nach Afrika. Von hundert Euro kommt dort nur rund die Hälfte an.

Hoher Anteil am Aufschwung Polens

Eine der Banken, die gut am Geldfluß aus Deutschland verdienen, ist die Frankfurter Reisebank. Etwa 30 Prozent des Gewinns erwirtschaftet das Unternehmen im weltweiten Bargeldtransfer. Rund die Hälfte der Bankkunden sind Afrikaner, Südamerikaner, Asiaten und Osteuropäer, wie Vorstand Wolf-Dieter Weschke in einem Interview mit der FAZ erklärt.

Weltweit führend ist die Überweisungsbank Western Union. Das Unternehmen, 1851 in den USA gegründet, verfügt heute in fast 200 Ländern über insgesamt 188.000 Anlaufstellen in Postbüros und Bankfilialen. "Migranten sind wichtige und wertvolle Kunden, deren Bedarf wir bedienen wollen, indem wir unsere Dienstleistungen für sie so bequem und einfach wie möglich machen", erklärt Vizepräsident Hikmet Ersek im Gespräch mit der Zeit. Daß Western Union gesalzene Gebühren verlangt, erwähnt er nicht.

Schon 2004 hatten die G8-Staaten vereinbart, die Kosten für Auslandsüberweisungen um die Hälfte zu senken. Geschehen ist jedoch nicht viel. Seit dem 29. November hat die Deutsche Bundesregierung nun das Internetportal www.geldtransfair.de freigeschaltet (entwickelt von der Frankfurt School Of Finance And Managament). Hier werden die Angebote von 40 deutschen Banken verglichen. Für jeden Betrag und Bestimmungsort lassen sich Gebühren und Überweisungsdauer anzeigen.

"Würden die Überweisungsgebühren auf das zwischen Industrieländern übliche Niveau gesenkt werden, stünden zusätzliche Milliardenbeträge für Entwicklungsländer bereit", begründet die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul den staatlich veranlaßten Wettbewerb.

Und die sind schon jetzt sehr willkommen. Radovan Jelasic, Gouverneur der serbischen Zentralbank, sagte der Deutschen Welle: "Die Zahlungen aus Deutschland sind für Serbien eine wichtige Finanzquelle. Nach unseren Schätzungen wurden 2006 insgesamt drei Milliarden Dollar aus dem Ausland nach Serbien überwiesen. Das entspricht acht Prozent des Bruttosozialprodukts. Allein aus Deutschland kommen davon 300 Millionen Dollar pro Jahr." Und noch einmal soviel sei in bar gekommen, freut sich Jelasic.

Auch am wirtschaftlichen Aufschwung in Polen hat in Deutschland erwirtschaftetes Kapital hohen Anteil. Die polnische Zentralbank meldet aktuell sogar einen Rekord: Im ersten Halbjahr 2007 lag die Summe bereits um 20 Prozent höher als im gleichen Zeitraum 2006. Insgesamt rechnet man in Polen mit über vier Milliarden Euro aus dem Ausland.

"Dieses Geld strömt in unser Land wie die jährlichen Subventionen der EU!" jubelt der polnische Banker Lukasz Tarwana im Interview mit dem Tagesspiegel. Seit Polens EU-Beitritt 2004 hat sich die Summe der Auslandseinzahlungen verdoppelt. Der Milliardentransfer, so Tarwana, habe eine enorm positive Auswirkung auf die polnische Volkswirtschaft: Mindestens 0,1 bis 0,2 Prozent des derzeitigen Wachstums verdanke man den Emigranten. Und Citibank-Ökonom Piotr Kalisz zitiert ergänzend Zahlen des polnischen Statistikamtes, nach denen sich im vergangenen Jahr die Zahl der Polen am Existenzminimum von drei auf 1,7 Millionen fast halbiert hat.

Auf das Geld, das meist monatlich von den Verwandten im Ausland überwiesen wird, ist eben mehr Verlaß als auf Entwicklungshilfen. Ganze Landstriche leben in Entwicklungsländern von Transferzahlungen - und investieren das Geld dort nicht nur in Konsumgüter, sondern vielfach produktiv in Kleinunternehmen, die Einkommen und Arbeitsplätze schaffen. Allerdings mit unterschiedlichem Erfolg: Während kleine Familien-Softwarefirmen in Indien teilweise sehr erfolgreich sind, stehen im Kosovo mit Migrantengeldern aufgebaute Tankstellen dicht an dicht als Investitionsruinen an den Straßen.

Am besten funktioniert diese Art von Entwicklungshilfe bei der sogenannten "Pendelmigration", wenn also die Migranten nach 10 bis 15 Jahren in ihre Heimat zurückkehren und mit dem angesparten Kapital sowie erworbenem Fachwissen ein eigenes Unternehmen gründen. Die Interamerikanische Entwicklungsbank sieht in der lateinamerikanischen Einwanderung in die USA ein echtes Instrument zur Bekämpfung der Armut in den Herkunftsländern - und damit letztlich ein Instrument gegen die Einwanderungsströme selbst.

Denn in vielen armen Ländern, deren Bruttosozialprodukt nicht für den Bedarf der Gesamtbevölkerung reicht, sind die Regierungen über die Auswanderung "hungriger Mäuler" ebenso erfreut wie über die Devisen, die sie ins Land schicken.

Einige Einwanderungsländer haben erkannt, daß die Entwicklungshilfe der Diaspora langfristig auch die Migration entlastend beeinflussen könnte. Frankreich unterstützt deswegen nicht nur uneigennützig eine Kooperation mit Mali.

Wie könnte sich der Wettbewerb in Deutschland auswirken? In Großbritannien hat man schon Erfahrung. Dort existiert eine Internetseite mit Gebührenvergleichen bereits länger. In der Folge sind Überweisungen in Richtung Indien um bis zu 40 Prozent günstiger geworden.

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen so "informelle Transfers", also der Geldfluß per Post oder Kurier, eingedämmt werden. Experten schätzen, daß über diese Kanäle gut noch einmal die Hälfte der offiziellen Summe abfließt. "Das wirft seit dem 11. September auch sicherheitspolitische Fragen auf", erklärt das deutsche Finanzministerium.

Denn Bargeschäfte werden oft nach dem dubiosen Hawala-System (JF 37/06) abgewickelt. Hawala bedeutet "Vertrauen". Tatsächlich basiert das komplexe Verfahren auf der Verrechnung von Schulden, die durch Waren, Dienstleistungen oder Wertgegenstände beglichen werden. Die Geschäfte werden meist konspirativ in Cafés oder Parks abgewickelt. Deshalb ist Hawala das ideale System für die Geldwäsche - und zur Terrorfinanzierung.

Ein anderer Weg ist oft die direkte Zustellung. Wie von Berlin aus: Die Busfahrer, die vom Berliner Funkturm nach Belgrad, Sofia oder Kiew starten, verdienen oft mehr an den üblichen fünf Prozent Kurierlohn für Geldumschläge als mit ihrem Job am Steuer.

Rücküberweisungen schaffen Abhängigkeiten

Immer wieder warnten Experten bisher vor einem "Brain-Drain", also der Abwanderung qualifizierter Fachkräfte, in dessen Verlauf arme Länder ihre gebildeten Bürger verlieren. Heute spricht der Chef der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Brunson McKinley, plötzlich von einer "Win-Win-Situation für alle Beteiligten". Ökonomen reden auf einmal von den positiven Eigenschaften privater Rücküberweisungen, die sich als "erstaunlich stabil" gegenüber dem Herdenverhalten internationaler Investoren erweisen. "Die Rücküberweisungen können helfen, Finanzkrisen zu vermeiden, die entstehen, wenn Investoren plötzlich ihre Gelder aus einem Land abziehen und Währung, Staatsanleihen und Aktienkurse einbrechen lassen."

Skeptisch äußert sich dagegen in der Zeit ausgerechnet Hans Werner Mundt von der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), die Geldtransfair.de mitentwickelt hat: "Rücküberweisungen wirken oft ähnlich wie Sozialhilfe. Sie schaffen Abhängigkeiten und verfestigen Rückständigkeit, weil sie in den Herkunftsländern den Reformdruck mindern, sowohl auf der Ebene der Familien als auch der Regierungen. Vor allem kleine Länder sind anfällig für dieses Syndrom, zum Beispiel Albanien, das weitgehend von Rückflüssen der Auswanderer lebt. Hohe Zuflüsse halten zudem die Währung künstlich hoch - das beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie und verschlechtert die Handelsbilanz."

In alle Himmelsrichtungen: Große Geldströme fließen von Deutschland in die Türkei und auf den Balkan

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