© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/08 15. Februar 2008

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Die vor 65 Jahren gehaltene Rede Goebbels' zum Totalen Krieg war rhetorisch stark, politisch richtete sie nur Schaden an
Doris Neujahr

Die Rede, die NS-Propagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast hielt, ist legendär geworden. Rhetorisch war sie eine Meisterleistung. Knapp drei Wochen nach der Katastrophe von Stalingrad zog Goebbels das Publikum und - zeitversetzt - die Radiohörer mit der Ankündigung, "ein ungeschminktes Bild der Lage zu entwerfen", ins Vertrauen über den Ernst der Lage: "Der Ansturm der Steppe gegen unseren ehrwürdigen Kontinent ist in diesem Winter mit einer Wucht losgebrochen, die alle menschlichen und geschichtlichen Vorstellungen in den Schatten stellen." Es drohten "Liquidationskommandos (...), der Terror, das Gespenst des Millionenhungers und einer vollkommenen Anarchie".

Das Grauen war jedoch noch abwendbar, und zwar wenn Stalingrad als der "Alarmruf des Schicksals an die deutsche Nation" verstanden würde. So "riesengroß" wie die Gefahr, so "riesengroß" mußten auch die Anstrengungen sein, um ihr zu begegnen. Dafür mußte mit den "bürgerlichen Zimperlichkeiten" im Innern endlich Schluß gemacht werden. "Was kann uns geschehen, wenn wir uns den harten Proben dieses Krieges mit fester Entschlossenheit unterziehen! An der Sicherheit unseres Sieges gibt es keinen Zweifel!" Damit hatte er die Stimmung geschaffen, in der er den Vertrauensvorschuß mit Zinsen wieder einsammeln und seinem Publikum die entscheidende Frage unterbreiten konnte: "Wollt ihr den totalen Krieg?", und nochmals in orgiastischer Übersteigerung: "Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können?"

"Tohowabohu von rasender Stimmung"

In seinem Tagebuch berauschte der Redner sich am "Tohowabohu von rasender Stimmung", das er damit ausgelöst hatte. Die "totale geistige Mobilmachung", ja einen "stillen Staatsstreich" glaubte er erreicht und Hitler, der die Belastbarkeit des Volkes noch nicht überstrapazieren wollte, zu entschlossenen Maßnahmen bewegt zu haben. Hatte er den Führer nicht sogar in den Schatten gestellt? "Wohl kaum ist während des ganzen Krieges in Deutschland eine Rede gehalten worden, die so lebhaft über den ganzen Erdball zitiert und kommentiert wird wie diese Sportpalastrede vom 18. Februar."

Neben dem Debakel an der Ostfront war eine weitere Drohung im Vorfeld der Rede akut geworden: Auf ihrem Treffen in Casablanca im Januar hatten Roosevelt und Churchill die Forderung nach der "bedingungslosen Kapitulation" erhoben. Deutschland samt seiner Führung sollte sich auf Gnade oder Ungnade ergeben. Auf Gnade konnten Goebbels und Konsorten aber nicht hoffen. So versprach er den Gegnern einen Kampf bis aufs Messer. Dieses Versprechen wenigstens hielt er aufs Wort.

Politisch brachte die Rede nicht viel. Die angekündigten Maßnahmen zur totalen Kriegführung im Reich blieben bis auf weiteres kosmetischer Natur. Die konkurrierenden Hitler-Satrapen fürchteten den Machtzuwachs des Propagandaministers und sabotierten seine Vorschläge. Außen- und militärpolitisch war die Rede sogar kontraproduktiv. Goebbels, der sich gegenüber Ribbentrop potentiell für den besseren Außenminister hielt, ignorierte den Spalt, der zwischen den Alliierten klaffte. Mit seinem brachialen, von keiner taktischen Überlegung gezügelten Anti-Bolschewismus tat er sogar alles, um ihn zu schließen. Dabei zögerte die Sowjet-union, welche die Hauptlast des Krieges trug und aus tausend Wunden blutete, noch bis Mai 1943, ehe sie ebenfalls auf der bedingungslosen Kapitulation bestand. Freilich hinderte sie das nicht daran, noch mehrmals, zuletzt im Herbst 1943, via Stockholm wegen eines Friedensschlusses auf der Basis der Grenzen von 1939 bzw. 1914 zu sondieren.

Dokument von Goebbels' außenpolitischem Laientum

Das außenpolitische Laientum des Redners war auch zeitgenössischen Beobachtern bewußt. Einen Tag, bevor Goebbels im Sportpalast ans Rednerpult trat, notierte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker, über eine frühere, inhaltlich ähnlich geartete Rede des Propagandaministers, daß man in London nun der Sorge ledig sei, "als könne man plötzlich einem deutsch-russischen Ausgleich gegenüberstehen. Das ist für die englische Politik ein Gewinn. So sichere Anhaltspunkte pflegt man sonst nicht zu haben. Die deutsche Propaganda gegen den Bolschewismus, mit dem man nie paktieren werde, ist nur dann uneingeschränkt zweckmäßig, wenn man mit allen Gegnern fertigzuwerden glaubt. Will man aber England insgeheim doch noch glauben machen, es fechte mit falscher Front, so gewinnt man es doch leichter, indem man ihm mindestens vortäuscht, wir könnten uns eines Tages auch mit den Russen zusammentun. Unsere Propaganda richtet sich eben zu sehr nach innen. Sie wendet sich an die deutschen Rüstungsarbeiter und vergißt das Ausland."

Damit waren bereits die politische Essenz der Rede zum totalen Krieg und der ganze Dilettantismus der deutschen Politik bezeichnet. Von ihrem Primat konnte keine Rede sein. Es gab kein intaktes Reichskabinett, das die Koordination zwischen Außen-und Innenpolitik, Propaganda und militärischer Planung vornahm. Es fehlte im Führerstaat an - politischer Führung! Die Propagandaveranstaltung vom 18. Februar 1943 verdeckte dieses Manko vorübergehend, um es gleichzeitig zu vergrößern. Zur Beglaubigung des angerichteten Chaos rief Goebbels wiederholt die "Göttin der Geschichte" an. Die empfand das als einen unverzeihlichen Frevel, den sie hart und anhaltend bestrafte.

Foto: Propagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast: Außen- und militärpolitisch war die Rede nicht nur dilettantisch, sondern sogar kontraproduktiv. Goebbels ignorierte den Spalt, der zwischen den Alliierten klaffte.

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