© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Kolumne
Eine Penetranz sondergleichen
Klaus Motschmann

Anläßlich des Jahrestages der Zerstörung Dresdens im Februar 1945 sind - wieder einmal - einige aufschlußreiche Grundzüge unserer sogenannten Erinnerungskultur offenkundig geworden, die zum Nachdenken anregen sollten, sie stehen nicht nur in einem immer wieder provozierenden Widerspruch zu den bislang noch einigermaßen verbindlichen Normen unserer Werte- und Rechtsordnung, sondern auch zu den Warnungen vor Vergleichen, Relativierungen und Aufrechnungen.

Dazu gehört die hemmungslose Mißachtung seriöser Untersuchungen zum Thema, zum Beispiel zur Zahl der Todesopfer des mehrtägigen Infernos. Bis zur Mitte der neunziger Jahre wurde die Zahl der Opfer von der Stadtverwaltung Dresden aufgrund glaubwürdiger Darstellungen des Roten Kreuzes, sowjetischer und westlicher Historiker mit 150.000 bis 200.000 beziffert. Nennenswerte Zweifel oder Widersprüche gegen diese Angabe gab es nicht.

Inzwischen wird mit einer Penetranz sondergleichen in fast allen Medien die Zahl 25.000 genannt; in einigen Nachtprogrammen wurde immerhin von "mindestens" 25.000 gesprochen. Wenn das keine Verfälschung von Fakten ist, was dann? Auf jeden Fall handelt es sich um eine grobe Mißachtung glaubwürdiger wissenschaftlicher Forschungsergebnisse, vor allem aber auch des Urteilvermögens mündiger Bürger.

Weniger offenkundig ist die Argumentation mit dem Hinweis auf deutsche Bombardierungen feindlicher Städte nach der Devise "Wer von Dresden spricht, sollte zu Warschau, Coventry und Leningrad nicht schweigen." Die Toten von Dresden werden auf diese Weise nicht nur als Opfer, sondern (eben auch) als "Täter" verstanden, die keine Tränen verdient haben - "no tears for Krauts", um an eine (zunächst noch) Parole politischer Verwahrlosung zu erinnern.

Es sollte sich endlich die Frage stellen - aber wer stellt sie? -, woran wir uns bei der Beurteilung derartiger Kriegsverbrechen orientieren sollen: Nach dem Prinzip "Auge um Auge" an den militärischen Entscheidungen Hitlers oder aber an den Normen des Kriegsrechts (Genfer Konvention, Haager Landkriegsordnung), die auch gegenüber einem besiegten Volk zu beachten sind - und zwar nicht nur im Blick auf die Wiederherstellung und Bewahrung seiner materiellen Grundlagen, sondern auch auf die seiner moralischen und rechtlichen Werteordnungen. Klärung ist dringend geboten.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.

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