© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Artem Antonows Filmdebüt "Polumgla" auf Arte: Anrührend und bemerkenswert
Aus Feind wird Freund
Christoph Martinkat

Als der junge russische Filmregisseur Artjom Antonow im Jahr 2005 mit "Polumgla" (deutsche Erstausstrahlung, 27. Februar, 22.45 Uhr, Arte) sein Spielfilmdebüt vorlegte, mußte er eine Menge öffentlicher Kritik über sich ergehen lassen. Sie entzündete sich vor allem am Finale seines Films, in dem ein Trupp deutscher Kriegsgefangener von einem NKWD-Kommando über den Haufen geschossen wird. Es fiel das Wort "Geschichtsfälschung". Doch in den Augen vor allem der älteren Generation hatte Antonow noch einen weit schwereren Frevel begangen. Er hatte in "Polumgla", was anspielungsreich "Halbdunkel" heißt, bewußt das notorische Schwarzweiß-Schema der unzähligen Filme über den "Großen Vaterländischen Krieg" unterminiert, das den Rotarmisten unentwegt zum lupenreinen Helden und seinen Gegenspieler - den deutschen Wehrmachtssoldaten - unentwegt zur sadistischen Bestie machte. Selbst Igor Bolgarin, Autor der Buchvorlage, war über den Film so empört, daß er seinen Namen aus dem Vorspann tilgen ließ. Bolgarin, Jahrgang 1929, argumentierte dabei wie viele seiner Generation: Der Film ende in einem "geschichtsfälschenden" Finale und sei im ganzen ein "antirussischer Film".

Jungregisseur Antonow, Jahrgang 1978, war sich jedoch von Anfang darüber im klaren, worauf er sich mit "Polumgla" einließ. Wahrscheinlich ahnte er auch, daß er einen Generationenkonflikt heraufbeschwören würde. Doch vollzog er mit seinem Erstling nur das, was seines Erachtens schon viel früher hätte geschehen müssen: die Abkehr von der Heroisierung und Idealisierung des "Großen Vaterländischen Kriegs" als einer rein patriotischen Veranstaltung. Denn in der jungen russischen Generation war anstelle des eindimensionalen Bildes vom heldenhaften Befreiungskrieg längst ein weitaus komplexeres getreten, das sich aus den kriegerischen Konflikten der spät- wie nachsowjetischen Ära speiste - aus den Kriegen in Afghanistan und Tschetschenien.

Es war also keineswegs ein Zufall, daß Antonow dem Protagonisten seines Films, dem blutjungen und gar nicht heldenhaften Leutnant Grigorij Anjuchin, die Charakterzüge seiner eigenen Generation mit einschrieb, indem er ihn eher unideologisch und nachgiebig auftreten läßt. 

Beim Einsetzen der Filmhandlung freilich - im Winter 1944 - ist der zwanzigjährige Anjuchin bereits vom Krieg schwer traumatisiert. Er bricht aus einem Lazarett aus, um sich an die Front zurückzumelden und aus Rache "Faschisten zu töten". Doch statt dessen findet er sich als Befehlshaber eines kleinen Bautrupps deutscher Kriegsgefangener in der nördlichen Taiga wieder. Dort soll ein kriegwichtiger Radarturm für die alliierten Fliegerstaffeln gebaut werden. Aber im Unterbewußtsein ist Anjuchin schnell klar, daß es mit der strategischen Bedeutung dieses Turms nicht weit her sein kann: Schließlich ist Moskau fern, die Front weit, die Tundra ein weltvergessener Ort.

Anjuchin, von der Situation anfangs mental überfordert, begegnet den Deutschen zunächst mit Haß und Abscheu. Und er ertränkt sein Leid im Alkohol. Im Örtchen Polumgla gibt es nur Wälder, Sümpfe und tiefen Schnee. Dort lebt eine Handvoll Frauen, Alte und Krüppel, da die Männer im Krieg sind. Anfangs bietet die Dorfgemeinschaft den Gefangenen weder eine taugliche Unterkunft noch anderweitig Hilfe.

 Doch bald schon - das dramatisiert der Film mal zart, mal voller Komik - brechen in Polumgla nicht nur die militärische Disziplin, sondern auch die Feindbilder zusammen. Denn Alltag, so zeigt Antonow, ist kein permanenter Ausnahmezustand wie das Leben an der Front, so daß die Trennlinien zwischen Freund und Feind immer unschärfer werden. Bald schon suchen sich die Bäuerinnen, die den Deutschen zunächst so feindselig begegnen, weil sie ihnen das Verschwinden ihrer Männer persönlich anlasten, sich Ersatzmänner unter den Gefangenen.

Daß die Annäherung zwischen den Russen und Deutschen behutsam und keineswegs vorbehaltlos passiert - auch Anjuchin überwindet schließlich seinen Haß -, macht den Film letztlich so spannend, anrührend und bemerkenswert.

Für die Dreharbeiten wählte Artem Antonow eigens eine kleine tundrische Siedlung, in der noch heute magische Riten und der Volksglaube eine Rolle spielen, die Häuser an russische Märchen erinnern und die Leute so leben wie damals. Das verleiht der ohnehin unwirklich erscheinenden Annäherung eine märchenhafte Aura. Sie gipfelt am Ende des Films im Svjatki-Fest, einem religiösen Maskenfest, das Russen und Deutsche schließlich gemeinsam feiern, um ihren Treuebund zu besiegeln - bis das eintreffende NKWD-Kommando den Traum vom friedlichen Zusammensein auf immer brutal beendet.

Fotos: Dramatisch: Die Dorfbewohner begegnen den Deutschen feindselig; Annäherung: Unterleutnant Anjuchin und Hauptmann Bulbach

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