© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Fernsehfilm "Die Gustloff"
Ein Schrei nach Erinnerung
Dieter Stein

Am kommenden Sonntag und darauffolgenden Montag strahlt das ZDF den zweiteiligen Spielfilm "Die Gustloff" aus (siehe ausführliche Besprechung auf Seite 10). Es ist der wohl beste deutsche Film der letzten Jahre zu einem Thema des Zweiten Weltkrieges. Vor 63 Jahren ereignete sich vor der ostpommerschen Küste die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten: Von drei Torpedos eines russischen U-Boots getroffen, sank am 30. Januar 1945 um 22.15 Uhr der mit 1.000 U-Boot-Männern und 9.000 Flüchtlingen vollgestopfte Dampfer. Über 9.000 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, fanden hier bei minus 20 Grad in der Ostsee ihren Tod. Nur 1.252 Menschen überlebten die Tragödie - unter ihnen der Zahlmeister des Schiffs, Heinz Schön, der später zum Chronisten dieses erschütternden Ereignisses werden sollte (siehe Interview auf Seite 3).

Seit Jahrzehnten harrte dieser historische Stoff - vom Kinofilm "Nacht fiel über Gotenhafen" (1959) abgesehen - einer zeitgemäßen Bearbeitung für ein Massenpublikum. Günter Grass' Novelle "Im Krebsgang" schuf 2002 eine verspätete erste literarische Behandlung der Gustloff-Tragödie. Damit war der Stoff aus der Nische eines Themas für Fachhistoriker und Militärgeschichtler befreit. Die Gustloff wurde zum Symbol des Schicksals der Massenaustreibung. Denn mit dem Flaggschiff der "Kraft durch Freude"-Flotte sanken fast ausschließlich Vertriebene aus Ostpreußen.

Und Deutschland tut sich schwer, der Vertriebenen würdig zu gedenken. Ängstlich fürchtet man den Vorwurf des "Aufrechnens", sobald angemessen an zwölf Millionen vertriebene und zwei Millionen bei der Vertreibung getötete Deutsche gedacht werden soll. Der Regisseur Joseph Vilsmaier, der sich mit seinem Film "Stalingrad" (1992) grandios verhob und sich in den Fallstricken politischer Korrektheit verhedderte, belegt mit seinem jetzigen Gustloff-Film über weite Strecken, daß es möglich ist, deutsche historische Tragödienstoffe würdig zu bewältigen.

Doch wieviel mehr liebt das Feuilleton das masochistische Schwelgen in deutscher Selbstanklage als Volk der sadistischen Massenmörder: Seit Wochen wird ein perverser Roman von Jonathan Littell ("Die Wohlgesinnten", siehe Verriß auf Seite 11) allen voran vom FAZ-Feuilleton zum literarischen Jahrhundertereignis hochgejubelt. Knapp 1.400 Seiten soll man sich in diesem Machwerk am frei erfundenen und dafür mit um so mehr dem zeitgemäßen Geschmack gefälligen pornographischen Erlebnissen gespickten Leben eines SS-Schlächters weiden.

Weniger Thrill verschafft dagegen offenbar die Pflicht, den honorigen Bemühungen, den Stoff der Gustloff als nationale Tragödie zu bewältigen, eine angemessene Würdigung widerfahren zu lassen. Die obszönen literarischen Leichenfleddereien eines Littell sind für eine in immer noch tiefer Neurose steckende Intelligenz angemessener, weil abgebrüht-distanzierter zu konsumieren. Mit sehr viel weniger Anteilnahme setzen sich die Medien mit dem Gustloff-Film auseinander. Weil das Thema unbequemer ist?

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