© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Kolumne
Antideutsche Politik und Polemik
Rolf Stolz

Kein Deutscher unter 75 Jahren kann an der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nazis mitgewirkt haben. Kein lebender Türke half beim Völkermord an den Armeniern. Außer einigen verdorbenen Greisen beteiligte sich kein heute lebender Pole, Tscheche, Russe, Jugoslawe an der Ermordung von mehr als einer Million Deutschen 1945/46 und an dem Menschheitsverbrechen der Vertreibung. Ist damit alles erledigt und  vergessen? Soll, wie es überall die Profiteure der Verbrechen im Chor mit dem Welt-Spießbürgertum fordern, das Leichentuch der Totalamnesie und -amnestie ausgebreitet werden? Sollen die Spuren aus den Schulbüchern beseitigt werden? Sollen mit blutrotem Schlußstrich und mit billigen Vergebungsritualen die Toten erneut getötet werden - nun aber im Gedächtnis der Völker und auf immer?

Recep Tayyip Erdoğan, Führer des pantürkischen Islamo-Chauvinismus, will das - er hat bei seiner Kölner Sportpalast-Rede noch einmal den türkischen Genozid am armenischen Volk 1914/15 abgestritten. Mindestens neunzig Prozent der polnischen Staatskader und Meinungsmacher wollen vergessen machen, was die polnische Nation der deutschen zwischen November 1918 und September 1939 und nach 1945 angetan hat (und zugleich Hunderttausenden deutschstämmigen Staatsbürgern des Zwischenkriegspolens!), und wollen jede Sühne - und sei sie nur symbolisch - den Vertreibungsopfern und ihren Nachkommen verweigern.

Deutschland hat teils verspätet, teils nicht konsequent genug, aber im Grundsätzlichen korrekt nach 1949 das geraubte Gut der vertriebenen Juden zurückgegeben oder zumindest entschädigt. Polen dagegen verweigert die Sühne für Mord, Folter, Ausbeutung, Landraub - in "bester" Tradition des polnischen Ur-Antijudaismus übrigens auch den vertriebenen deutschen Juden. Für jene polnischen Juden, die von Polen vor und nach 1945 drangsaliert oder sogar umgebracht wurden, gibt es keine öffentliche Reue und Buße. Aber ebenso, wie Nachkommen der  vertriebenen Armenier, Kurden, Griechen, spaniolischen Juden, syrischen Christen zurückkommen werden in die verlorene Heimat, werden auch Deutsche in den Osten Europas zurückkehren. Die antideutsche Politik und Polemik - das Totschweigen, die Selbstkastration, die  Vertreibungsrechtfertigungen - sind nicht das letzte Wort, sondern das letzte Gestammel derer, die nichts zu sagen wissen und schon deshalb irgendwann nichts mehr zu sagen haben werden.

 

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen