© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Putins riskante Wahl
Rußland: Dimitri Medwedew wird am Sonntag zum neuen Präsidenten gewählt / Mehr als nur ein Platzhalter
Albrecht Rothacher

Seine Wahl am 2. März steht fest, nur über die Höhe der Wahlsieges läßt sich spekulieren. Ziehvater Wladimir Putin hat ihn persönlich ausgewählt und alle Rivalen innerhalb des Kreml zur Gefolgschaft verdonnert. Seit Monaten berichten die Staatsmedien nur Positives über Dmitri Anatoljewitsch Medwedew. Auch seine Gegner, die finsteren Geheimdienstleute der Machtvertikalen, die Silowiki, wagen es nicht, über ihn die sonst zu erwartenden Schmutzgeschichten zu verbreiten.

So schreiben denn auch die Westmedien in Ermanglung eigener Recherchen nur Gutes: fleißig, schüchtern, höflich, belesen, zurückhaltend sei der 42jährige Thronfolger, ein gehorsamer Befehlsempfänger Putins, dessen Weste als Prädikatsjurist von keiner Geheimdienstuntat befleckt ist. Das Wildeste an ihm sei seine Leidenschaft für Rockmusik à la Deep Purple (JF 1/08).

Kann er aber das Riesenreich beherrschen, aus dem Schatten seines übermächtigen Vorgängers treten und die von Putin an die Macht gebrachten KGB-Seilschaften in die Schranken weisen? Oder ist er als vorübergehender Platzhalter und Marionette des aktuellen Präsidenten geplant, dem er nach einer Anstandsfrist wieder den Sessel räumen wird?

Im Gegensatz zu Putin, der als Sohn eines kriegsversehrten Waggonbauarbeiters und einer Putzfrau groß wurde, wuchs Medwedew in einer Akademiker-Familie auf. Er schloß sein Jurastudium 1987 an der Leningrader Staatsuniversität ab, 1990 folgte seine Doktorarbeit zur Rechtspersönlichkeit von Staatsfirmen in einer Marktwirtschaft. Er publizierte etliche Fachartikel zu Fragen des Wirtschaftsrechts und wurde 1991 Mitautor eines Lehrbuchs zum Privatrecht, das mittlerweile in seiner 6. Auflage verwendet wird.

Einer von Medwedews Professoren war der spätere liberale Bürgermeister von St. Petersburg, Anatoli Sobschak. Ihm diente er zunächst als Hochschul­assistent, später als Wahlkampfhelfer und Rechtsberater. In dieser Funktion arbeitete er viel mit Putin zusammen. 1994 wurde Putin Vizebürgermeister. In dieser Zeit wurde Medwedew Direktor für Rechtsfragen in Ilim Pulp, einer der größten russischen Papierfabriken, die damals zum Objekt der ruppigen Übernahmebegierden des Oligarchen Oleg Deripaska (Rusal-Aluminium, Magna, Hochtief, Strabag) wurde. 1999 verließ Medwedew Ilim, verkaufte seine Aktien mit viel Gewinn und begann bei Putin zunächst als Vizechef des Amtes des Ministerpräsidenten.

Im November 2005 wurde Medwedew zu einem der beiden Vizepremiers befördert. Während Sergeij Iwanow die undankbare Aufgabe der Armeereform bekam, erhielt Medwedew einen Fonds von umgerechnet elf Milliarden Euro für "nationale Projekte". So konnte er wie Putin im Fernsehen bei der Einweihung neuer Krankenhäuser, Schulen, Wohnbauten und Kolchosstallungen auftreten. Die gleichgeschalteten Massenmedien sorgten dafür, daß keine Kritik an der Ausführung und Auswahl jener nationalen Projekte laut wurde.

Medwedew wurde auch als Abgesandter Putins in den Aufsichtsrat von Gazprom entsandt. Zusammen mit Alexeij Miller, einen weiteren Putin-Vertrauten aus St. Petersburg, schaffte er es, aus dem defizitären Gasmonopolisten einen Konzern mit einem Börsenwert von 350 Milliarden Dollar und die drittgrößte Firma der Welt zu machen. Gazprom schluckte den Sibneft-Ölkonzern des Oligarchen Roman Abramowitsch und zwang BP und Shell mit einigen unsauberen Tricks zur Herausgabe der von ihnen aufwendig entwickelten Erdgasfelder. Dabei ist das Geschäftsmodell von Gazprom ziemlich einfach gestrickt: wenig selbst erschließen, billig in Zentralasien einkaufen, teuer zu Weltmarktpreisen verkaufen. Gazprom verwendet die meisten Erträge, um sich in west- und osteuropäische Verteilernetze einzukaufen, durch Tiefseegasleitungen in Ostsee und Schwarzem Meer die lästigen Transitländer zu umflanken und europäische Versorgungsalternativen ("Nabucco") zu konterkarieren.

Wie jeder gute Tschekist ließ und läßt Putin seine Umgebung über seine wahren Absichten so lange wie möglich im Unklaren. Seit der Verdrängung der Jelzin-Familie und der Oligarchen von der Macht hat er auf zwei Gruppen gesetzt, zu denen er aus früherer beruflicher Verbindung Vertrauen hat: ehemalige KGB- Offiziere und Armeegeneräle, die er als Silowiki auf 75 Prozent der Führungspositionen ernannte, und St. Petersburger Juristen und Ökonomen, die 25 Prozent seiner Ernennungen ausmachten. Dennoch blieben Diadochenkämpfe nicht aus. So wurde im Oktober 2007 etwa General Bulbow, der Chef der Antidrogenpolizei, vom Inlandsgeheimdienst FSB verhaftet. Er hatte den Drogenschmuggel und die Geldwäsche höchster Geheimdienstkreise untersuchen lassen. Medwedew dagegen hielt sich aus den Auseinandersetzungen im Windschatten von Putin heraus.

So muß Putin klargeworden sein, daß er beim Machtantritt einer seiner hartgesottenen Silowiki-Freunde ähnlich schnell ausgebootet werden würde, wie er dies selbst seinerzeit - beim Amtsantritt vor acht Jahren noch als Marionette der Oligarchen verspottet - mit den Jelzin-Oligarchen gehalten hatte. Wollte Putin nach dem März 2008 noch eine politische Rolle behalten, sei es als Premier, Gazprom-Chef oder mit der Option einer Rückkehr nach dem Rücktritt eines Interim-Präsidenten, so konnte dies nur mit seinem pflegeleichten Adoptivsohn Medwedew erfolgen, der als sanftmütiger Technokrat und Exponent der relativ machtlosen Petersburger Geistesarbeiter auf das Machtwort des Ex-Präsidenten gegenüber den machtversessenen Silowiki noch lange angewiesen sein würde.

Ob Rußland, in dem es historisch dank seiner personalisierten zentralisierten Machtstruktur auf Dauer nur ein einziges Machtzentrum gegeben hat, mit einer Dualität der Macht - eines Präsidenten Medwedew und eines Premiers Putin - lange leben wird, ist zweifelhaft. Schon jetzt versuchen die meisten Gefolgsleute Putins einschließlich vormaliger Rivalen wie Sergej Iwanow, sich bei Medwedew durch Versicherung ihrer unbedingten Loyalität rückzuversichern. Falls Medwedew seine nahezu unbegrenzte institutionelle Macht beherzt nutzt, landete Putin schneller auf dem Altenteil als je gedacht.

Die ersten öffentlichen Ankündigungen Medwedews klingen ähnlich demokratisch wie jene Putins zu früheren Wahlkampfzeiten: Der Staat solle durch die Bürgergesellschaft kontrolliert werden. Nur freie Medien könnten freie Informationsflüsse gewährleisten. Der in Rußland verbreitete Rechtsnihilismus, die Mißachtung der Gesetze durch die Bürger und ihr Mißbrauch durch die Behörden, sei zu beenden. Nur durch den Schutz von Privateigentum könne ein freies Unternehmertum entstehen. Sicher hat Medwedew in den vergangenen acht Jahren an Putins Seite Institutionen eines starken Staates mitgeschaffen: eine verstaatlichte Energiewirtschaft, Staatsholdings in allen Schlüsselbereichen der Wirtschaft, nicht zuletzt von Gazprom kontrollierte Medien, und eine Energieexportpolitik im Lichte vom Rußlands externen Machtinteressen - Wirtschaftsliberalität sieht anders aus.

Als moderner Technokrat und Jurist sollte Medwedew andererseits die Brutalität des rechtsfreien russischen Auftretens gegenüber Tschetschenen und Bürgerrechtlern im Innern und gegenüber kleineren Nachbarn wie Georgien und Estland ablehnen. Auch der Diebstahl der Beutekunst aus Deutschland ist von einem angesehenen Zivilrechtler nicht zu rechtfertigen. Von Sowjetnostalgie, der Affinität zur russischen Orthodoxie und dem Hang Putins zur Sammlung postsowjetischer Erde dürfte Medwedew weitgehend frei sein. Damit könnte er im Verein mit einer neuen US-Regierung auf dem vom Mißtrauen schwer zerrütteten eurasischen Kontinent wieder für einen vertrauensbildenden Neuanfang sorgen.

Foto: Präsident Wladimir Putin, Nachfolger Dimitri Medwedew: Auf den Ex-Geheimdienstler folgt ein moderner Technokrat und Einser-Jurist

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