© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Pankraz,
König Midas und die erblindete Gier

Von allen Seiten tönt es jetzt, wir sollten nicht so gierig sein. Fernsehrunden fragen schon im Untertitel besorgt: "Ruiniert die Gier unsere Gesellschaft?" Weihbischöfe verweisen auf die Bibel (1. Thimot. 6, 10): "Denn Geldgier ist eine Wurzel alles Übels."  Konzernmanager und andere "Leistungsträger" werden attackiert, gar nicht so sehr, weil sie eventuell das Gesetz übertreten, sondern weil sie "gierig" sind. Die Gier hat zur Zeit, im Gegensatz zum  Geiz ("Geiz ist geil"), einen ganz schlechten Ruf.

Dabei ist das Wort vieldeutig, ist es immer gewesen, und zwar keineswegs nur im Deutschen, sondern auch im Englischen, Französischen, Spanischen, wahrscheinlich in allen Sprachen, vermutet Pankraz. Die spanische Version etwa hat einen ausgesprochen positiven Klang. "Ansia" bedeutet in erster Linie "Sehnsucht", Verlangen nach Liebe und Geliebtwerdenwollen oder nach Weisheit und Erkenntnis.

Richtet sich die "ansia" auf sogenannte materielle Güter, dann verwandelt sie sich in "codicia", die Habgier, die Habsucht. Aber selbst in "codicia" schwingt ein fast tragischer Unterton aus Kummer und Qual mit, der unserem deutschen Wort "Habgier" und selbst unserer bloßen "Gier" vollkommen abgeht. Von "codicia" wird befallen, wessen "ansia" ungestillt bleibt, der weder in der Liebe noch in Weisheit und Erkenntnis sein Glück findet. Er ist nicht vorab verächtlich oder gar kriminell, sondern eher bemitleidenswert.

Bis ins Mittelalter müssen wir allerdings zurückgehen, um eine der spanischen ähnliche deutsche Wortbedeutung wahrzunehmen. Auch von den mittelhochdeutschen Minnesängern wurde "die Gier" (nach allem, was die Brüder Grimm darüber gesammelt haben) noch überwiegend positiv verwendet. Sie war menschlicher Urtrieb. Zum menschlichen Dasein gehörte das Habenwollen, ob Teilhabenwollen, ob Verfügenwollen, originär dazu. Nicht die Gier selbst war das Problem, sondern ihr Gestilltwerden, sowohl in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht.

Optimierung oder Maximierung - so hieß die Alternative. Alle wirklich Weisen, von Sokrates bis Wolfram von Eschenbach, waren sich darüber einig, daß das Optimum, also das Beste, nie und nimmer mit dem Maximum, dem Meisten, identisch sei. Es kam darauf an, die Gier vor dem "Erblinden" (Dante) zu bewahren, wo sie ihr Haben nur noch an der schieren Masse des Gehabten mißt und damit zum bloßen Objekt, zur bloßen Funktion von Maximierung degeneriert. Eine "erblindete" Gier, so die übereinstimmende Meinung der Alten, wird nicht mehr gestillt, sondern immer nur neu angestachelt. Sie ist nur noch eine monströse Karikatur ihrer selbst und ein schlimmes Ärgernis für die Mitwelt.

Früh zu schaffen machte den Nachdenkern das Phänomen des Geldes, weil man es, wenn man es hatte, doch nicht wirklich hatte. Es war ja nicht selbst "etwas", sondern nur der Berechtigungsschein "auf etwas". Die pointierte Gier nach Geld stand deshalb in der besonderen Gefahr einer "Erblindung". Geld war markierte Funktion, und wer darauf gierig war, dem ging es nicht um Haben, sondern eben um Funktion. Aristoteles hat den speziell auf Geld Gierigen mit dem reichen Sagenkönig Midas verglichen, der letztlich verhungern muß, weil er alles konkret Nahrhafte, das er berührt, in Gold, in abstrakte Funktion verwandelt.

Es läßt sich nicht leugnen: "Entfesselter" Kapitalismus, wie er in den letzten Jahren bei uns zu einer Art Staatsdoktrin erhoben worden ist, hat viel Ähnlichkeit mit dem König Midas. Sein innerstes Anliegen sind nicht Gütertausch und blühende Gemeinwesen, sondern die Verwandlung von Geld in Kapital, welches sich nur momentweise auf konkrete Verhältnisse einläßt, mit der einzigen Absicht zu "hecken", d. h. sich selbst zu vermehren, ohne Rücksicht auf Folgen für die Verhältnisse. Diese Art von "Globalisierung" ist tatsächlich blind, eine blinde Gier, und es gibt nicht den geringsten Grund, dergleichen hinzunehmen.

Die gegenwärtige öffentliche Erregung über die "Gier" der Manager mag manche unreine Antriebe haben: Sozialneid, hilfloses Herumgemosere über "die da oben", auch schlaues Wahlkampfkalkül  mächtiger linker Politiker und gescheiterter Sozialutopisten. Im Kern aber ist die populäre Aufregung berechtigt, und sie ist auf der richtigen Spur. Nur eben: Die Kritiker meinen in Wahrheit gar nicht eine angebliche "Gier" der Manager nach immer schöneren Villen, stärkeren Autos und teuren Sex-Ausflügen nach Rio. Sie wissen spontan, daß es um viel Wichtigeres geht.

Sie sind nicht einverstanden mit einer Managerklasse, deren Sehnsucht gar nicht mehr auf die Mehrung des (eigenen und allgemeinen) Wohlstands ausgerichtet ist, nicht einmal wirklich auf den konkreten Wohlstand der Aktionäre, sondern die nur noch einer abstrakten Ideologie dient, bei der sich alles einzig und allein um die Mehrung von Kapital um seiner  selbst willen dreht. Von einer solchen blinden Gier will niemand etwas wissen, schon dehalb nicht, weil bekanntlich zunächst einmal viele, viele Untertanen (sprich: kleine Wirtschaftsteilnehmer) hungern müssen, bevor ein König, und nur gar König Midas, selber verhungert.

Es stimmt schon, und Machiavelli hatte recht, als er in seinem "Fürsten" schrieb: "Den Nationen schadet mehr die Habgier ihrer eigenen Bürger als die Raubgier äußerer Feinde, Denn dieser läßt sich bisweilen mit guten Verträgen ein Ziel setzen, jener aber nicht." Noch mehr jedoch als die Gier der großen Masse der Bürger  schadet die blinde Gier privilegierter Mitbürger (Manager, Leistungsträger, Elite-Angehöriger), und zwar nicht dadurch, daß sie Steuern hinterziehen, sondern indem sie sich voller Stolz und exklusiv als überdimensionale Kapitalfunktionäre betätigen.

"Avaritia" zählt in der katholischen Kirche zu den sieben Todsünden. Einige übersetzen die Avaritia mit  "Geiz", andere mit "Habgier". Beides ergibt Sinn. Die beste Übersetzung aber wäre wohl: "Blinde Gier auf Kaptalvermehrung um ihrer selbst willen".

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