© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Frisch gepresst

Kraus und Wedekind. Korrespondenzeditionen, deren "Apparat", also Einleitung, Anmerkungen und Kommentar, den Briefwechsel nahezu erdrückt, sind so selten nicht. Insoweit bleibt Mirko Nottscheid im Rahmen, wenn er den - zieht man den Raum für die faksimilierten Postkarten ab - kaum 70 Seiten umspannenden Austausch zwischen dem Wiener Großkritiker Karl Kraus und dem "Skandalautor" des Spätwilhelminismus, Frank Wedekind, mit 300 Seiten "Zutaten" versieht. Dabei darf man Nottscheid zwar Respekt zollen für ein Höchstmaß an philologischer Akribie. Seine hundertseitige Einführung bietet einen passablen, an der "Geschlechterfrage"  orientierten Beitrag zur Geschichte der ästhetischen Opposition vor 1914, die freilich einen Teil der zeitgenössischen Wedekind-Literatur, etwa Paul Fechters Monographie (1920), leichtfertig ignoriert. Aber der Brief-, besser Kartenwechsel zwischen Kraus und Wedekind dient dafür bestenfalls als Anstoß, da er von so grandioser Belanglosigkeit ist, daß der Editor sich zu deren vom gemeinsamen Kampf gegen die "bürgerliche Sexualmoral" geprägter Beziehung auch ohne diese Nichtigkeiten hätte äußern dürfen. Oder muß die Nachwelt erfahren, von wem Kraus im Wiener Caféhaus geohrfeigt wurde, oder gar, daß Wedekind im März 1904 mitteilt: "Ich habe damals Frl. Parsenow nur ein einziges Mal gesehen  (...). Sonst giebt es nichts neues"? (Karl Kraus - Frank Wedekind. Briefwechsel 1903 bis 1917. Mit einer Einführung herausgegeben und kommentiert von Mirko Nottscheid. Königshausen&Neumann, Würzburg 2008, broschiert, 397 Seiten, Abbildungen, 49,80 Euro).

Der Krieg und die Lüge. Im eilfertigen Wettlauf, nach den USA als erster den neuen Balkanzwergstaat Kosovo anzuerkennen, der außer einer für europäische Verhältnisse unfaßbar hohen Natalität kaum andere lebensfähige Indikatoren nachweist, dürfte die Erinnerung an einstmals ursächliche Begebenheiten nur die Stimmung verderben. Ein Grund mehr für den linken Publizisten Jürgen Elsässer, erneut am Schorf dieser Wunde zu kratzen und die Kollektivamnesie in puncto des 1999 vom Zaun gebrochenen Kosovokriegs und seiner Ursachen in einer aktualisierten Neuauflage seiner Philippika aus dem Jahr 2004 anzuklagen. Und so rekapituliert Elsässer die Propagandawelt der "Killing Fields" mit "Hunderttausenden Toten" (Joschka Fischer), der "Konzentrationslager" mitten in Priština (Rudolf Scharping) und böser serbischer "Hufeisenpläne", mit der - bis heute folgenlos für die Verantwortlichen - ein laut Grundgesetz eigentlich verbotener Angriffskrieg Deutschlands als Nato-Alliierter begründet wurde (Kriegslügen. Der Angriff auf Jugoslawien. Kai Homilius Verlag, Berlin 2008, broschiert, 198 Seiten, 12,80 Euro).

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