© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/08 07. März 2008

Aufgabe letzter Substanz
Schwarz-Grün: Angesichts strukturell linker Mehrheiten paßt sich die CDU weiter an
Karlheinz Weissmann

Man soll zu seiner Biographie stehen, auch zu seiner politischen, und zur Biographie des Verfassers gehört, daß er bei erster Gelegenheit "grün" gewählt hat. Das war 1978, anläßlich der Landtagswahl in Niedersachsen, Jahre bevor die Bundespartei "Die Grünen" entstand. Damals trat eine Grüne Liste Umweltschutz (GLU) an, und die stand für ein Programm, das ganz nach dem Geschmack auch vieler Konservativer war, genauso wie die Kandidaten: ein ehemaliger Marineoffizier, ein Förster, ein Landwirt und eine pensionierte Lehrerin, die ihre Mitarbeit damit begründete, sie habe die Liebe zu Heimat und Natur schon als kleines Mädchen im Wandervogel gelernt. Was hier zusammenkam, war "konservativ" im besten Sinne, und die Sympathie vieler Konservativer oder der Nonkonformisten des rechten Lagers für die Grünen beruhte Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre nicht nur auf deren Bewegungscharakter, sondern auch darauf, daß die üblicherweise als konservativ bezeichneten Positionen in der Bundesrepublik eigenartig beschnitten waren, modernitätsfromm und unkritisch gegenüber den Schattenseiten der Marktwirtschaft, deren Zerstörungskraft eben keinesfalls nur schöpferisch wirkt.

Man sollte das in Erinnerung behalten, bevor die Politikberater und Parteistrategen jetzt nach den Landtagswahlen in Hessen und Hamburg anfangen, nach einer Legitimation für "Schwarz-Grün" oder eine "Jamaika-Koalition" zu suchen und dann auch die Urgeschichte der Grünen in den Blick nehmen. Denn mit den aktuellen Projekten "Schwarz-Grün" oder "Jamaika" hat jene Geschichte vom Pluralismus grüner Anfänge gar nichts zu tun.

Das, was sich heute anbahnt, ist nur die Folge einer Zwangslage und einer längerfristigen ideologischen Entwicklung. Die Zwangslage entstand aus dem Zerfall der Volksparteien, vor allem der SPD. Sie hatte schon früher einen Teil ihrer Anhänger und Wähler an die Grünen verloren, aber der Kernbestand blieb unberührt. Das änderte sich nach der Wiedervereinigung und der Etablierung der SED/PDS als "Lega Ost" (Arnulf Baring). In den neuen Bundesländern gelang es den Sozialdemokraten nie, die nötige Macht zu gewinnen, um gleichzeitig die alten Kader zu entmachten und den verstockten Teil der Mitteldeutschen auf die eigene Seite zu ziehen. Die SPD blieb im Kern eine Westpartei.

In den alten Ländern schien ihre Stellung als Alleinvertreter der traditionellen Linken gar nicht gefährdet, bis Verfall des Führungspersonals und Desorientierung im Weltanschaulichen ihren Tribut verlangten. Jedenfalls hat der Aufstieg der SED/PDS wesentlich mehr mit dieser Formschwäche der SPD als mit dem unwiderstehlichen Charme des Oskar Lafontaine oder der Stärke des neuen Konkurrenten auf der äußersten Linken zu tun.

Die Sozialdemokratie muß den Prozeß mit umso größerer Aufmerksamkeit beobachten, als ihr der Verlust von Stimmen an die (Post)Kommunisten die Möglichkeit zu bequemen Zweierkoalitionen verstellt, jeder Dreibund aber außerordentlich labil ist. Umgekehrt hat die CDU darauf zu merken, daß sie nicht endgültig zum Gefangenen des Modells "Große Koalition" wird und Rot-Dunkelrot einen Grad an Normalität erreicht, der der weiteren Linksverschiebung des politischen Spektrums Vorschub leistet. Fällt der Wunschpartner FDP aus, und dessen Schwäche scheint strukturell bedingt, so bleibt angesichts dieser Situation nur die Option einer Zusammenarbeit mit den Grünen.

Die Wahrnehmung dieser Möglichkeit wird erleichtert durch die bereits erwähnte längerfristige ideologische Entwicklung. Man könnte auch von Konvergenz zwischen der Union als "moderner Großstadtpartei" und einer libertär gewendeten Partei der Grünen sprechen. Da die CDU seit der Ära von Heiner Geißler alle Kernelemente ihres Programms (Nation, "starker Staat", Christentum, Familie) aufgegeben hat und mit "weichen Themen" reüssieren möchte, steht der Zusammenarbeit mit den Grünen kaum noch etwas im Wege, die sogar nach Meinung Daniel Cohn-Bendits "in der Mitte der Gesellschaft" angekommen sind. Was in Kommunen erprobt wurde, mag auf Landesebene - vor allem was die Wirtschaftspolitik betrifft - größere Schwierigkeiten bereiten, aber jedenfalls bestehen keine unüberwindbaren Hindernisse, schon gar keine unüberwindbare Abneigung.

Man kann diese Annäherung als Teil eines Normalisierungsprozesses betrachten, der das alte Parteiensystem der "Bonner Republik" abträgt und das neue der "Berliner Republik" vorbereitet: eine (post)kommunistische und eine sozialdemokratische Linke, eine amorphe bürgerliche Mitte und als irrlichternder Faktor die Grünen. Die Aufteilung entspricht in wesentlich höherem Maß dem, was in den westeuropäischen Staaten üblich ist als das Dreierschema mit zwei großen und einer kleinen Volkspartei, das sich in der Nachkriegszeit ausgebildet hatte. Bei den Nachbarn gibt es allerdings immer auch ein rechtes Gegengewicht, von eher konservativem, eher radikalliberalem oder eher populistischem Charakter.

Das fehlt in Deutschland, was man als gravierende Anomalie werten muß. Es fehlt darüber hinaus ein Ansatz, der als Entwicklungsmöglichkeit in den grünen Anfängen steckte und seinerseits als Abweichung von der Norm - im Positiven - hätte gelten müssen: eine tatsächliche Synthese von ökologischem und konservativem Gedanken, wie sie etwa den Vorstellungen Herbert Gruhls entsprach. Wer heute in der CDU Krokodilstränen über dessen Verdrängung aus der Partei vergießt, will auch darüber täuschen, daß Gruhls von großem Ernst und Sachkenntnis getragenes Programm für den Umbau der Industriegesellschaft nichts mit Merkels Flugreise nach Grönland oder den aktuellen Debatten über Schwarz-Grün zu tun hat. Die sind nur von dem Wunsch bestimmt, Pfründen zu gewinnen oder Pfründen zu verteidigen, nicht davon, eine echte Alternative zu suchen.

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