© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/08 07. März 2008

Nicht Liebe, die Gewalt befreit
Kleist mit Sade: Luk Perceval inszeniert "Penthesilea" an der Schaubühne Berlin
Harald Harzheim

Vor einer halbrunden, tristen Betonwand stehen kalkweiß geschminkte Menschen - archaisch wirkende Endzeitzombies. Ermüdet von einem endlosen Krieg. Lange Schatten fallen auf den grauen Beton, führen dank beweglicher Lichtquellen ein gespenstisches Eigenleben: wachsen, schrumpfen und bewegen sich. Dröhnender Experimentaljazz (Jean-Paul Bourelli) ertönt, ein rauhes Klangmeer, aus dem langsam erste Stimmen auftauchen.

Heinrich von Kleists Schlacht um Troja als Apokalypse der Menschheit. Ein starkes Bild, mit dem Regisseur Luk Perceval seine Inszenierung der heuer zweihundert Jahre alten "Penthesilea" an der Berliner Schaubühne beginnen läßt. Auch die Sprache wird zum Indikator innerer Zerrüttung, wenn die Akteure müde oder gehetzt in Mikrofone stottern, die kreisrund über der Bühne hängen. Dabei kreuzen sie kaum ihre Blicke, sondern halten sie während eindreiviertel Stunden Spieldauer fast durchgehend aufs Publikum gerichtet. So ist jeder isoliert, vegetiert in einer mentalen Glasglocke.

Daß der zeitgenössische Mensch nur noch mittels elektronischer Medien kommunizieren kann, hat Regisseur Perceval bereits in seiner Münchner Inszenierung von Wedekinds "Lulu" behauptet. Was dort der Chatroom war, sind hier die Mikrofone.

Mitten in diesem Land der seelisch Toten: Penthesilea, die Amazonenkönigin, in einem weißen Nachthemd, das Assoziationen zur Psychiatrie aufkommen läßt, faucht und schreit wie ein Tier, von den eigenen Trieben gequält. Ihre Kriegerfrauen wirken wie Pflegerinnen, die sie beim Affektausbruch zurückhalten, sie versorgen, ihr den Vormund machen. Im Gegenzug tritt Achill betont unterkühlt an sie heran. So hat Perceval Kleists hitzige Liebesglut endgültig zum Verlöschen gebracht: Die Frau hat den Part der Affektbestie, der Mann steht als ermatteter Sportstyp da. Ihre Begegnung erinnert eher an einen Betriebsunfall als an Leidenschaft.

Erst als Penthesilea ihren Geliebten aufgrund eines Mißverständnisses in Fetzen reißt, öffnen sich tiefere Emotionsschichten. Plötzlich nimmt auch das Umfeld Anteil, schaut nicht mehr ins Publikum, sondern erwartungsvoll auf die Unglückliche. Nicht die Liebe, die Gewalt befreit. Kleist mit dem Marquis de Sade.

Zeitgleich mit Penthesilea stürzt auch Troja in sich zusammen, Krieg und Geschlechterkrieg sind identisch. Die Stimmen der Akteure versinken wieder im Klangmeer der Feedback-Gitarre, einer Musik, die in ihrer Selbstbezüglichkeit die menschliche Isolation wirkungsvoll unterstreicht.

Luk Percevals Konzeption ist typisch für eine Kultur, die sich den Traum von Liebe - und sei es nur für kurze Zeit - nicht mehr leisten will oder kann. In seiner Adaption herrscht eine Erlösungsbedürftigkeit, gegen die der arme Kleist als Musterbeispiel seelischer Gesundheit dasteht.

Wie die antiken Tragödien bietet auch "Penthesilea" wenig Bühnenaktion. Die Handlung wird durch die Protagonisten erzählt, nicht gezeigt, Spannungsbögen sind kaum vorhanden. Die Regie hat dem - abgesehen von Textkürzungen und diversen Performance-Elementen - keinerlei Abhilfe geschaffen. So weist die Aufführung zwangsläufig einige Längen auf. Nur das exzessive Spiel Katharina Schüttlers in der Titelrolle sorgt dafür, daß die Aufmerksamkeit nie vollständig nachläßt.

Die nächsten "Penthesilea"-Aufführungen in der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153, finden statt am 7., 8., 18., 19. und 20. April. Kartentelefon: 030 / 89 00 23

Foto: Katharina Schüttler (Penthesilea), Bettina Stucky (Prothoe) und Christina Geiße (Meroe)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen