© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Ganz gezielt die nationale Karte ausspielen
1948 versuchte die SED, das Jubiläum der 1848er Revolution zur Selbstdarstellung zu nutzen
Manfred Müller

Die Märzrevolution jährte sich zum hundersten Mal. Von diesem Jubiläum erhoffte sich die SED 1948 deutliche Fortschritte in ihrer Deutschlandpolitik. Sie spielte damals ganz gezielt die nationale Karte aus, um trotz aller Sowjetisierungstendenzen in der russischen Zone bei den Westdeutschen Gehör zu finden. Als Instrument wollte sie den Deutschen Volkskongreß benutzen. Diesen hatte die SED schon im Dezember 1947 ins Leben gerufen, um anläßlich der Londoner Außenministerkonferenz der vier Siegermächte dem Wunsch der Deutschen nach einem "baldigen gerechten und demokratischen Frieden" Ausdruck zu verleihen. Otto Grotewohl, der prominenteste sozialdemokratische Renegat in der SED-Führungsriege, fand dafür besonders eindrucksvolle Worte: In der Sorge um "die Einheit Deutschlands und den Frieden erhebt sich unsere Überparteilichkeit zu einer einzigen Partei, zu der wir alle gehören, und diese Partei heißt: Deutschland".

Der zweite Deutsche Volkskongreß  tagte am 17. und 18. März 1948 im sowjetischen Sektor Berlins. Von den 1.989 Delegierten (in einem dubiosen Verfahren gewählt) kamen nur etwa 25 Prozent aus Westdeutschland. Zwar rekrutierte sich nur ein Viertel der Delegierten aus SED- und KPD-Mitgliedern, zählte man aber die Delegierten aus den sogenannten Massenorganisationen wie dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) oder der Freien Deutschen Jugend (FDJ) hinzu, konnte die kommunistische Führung immer mit einer Mehrheit rechnen. Die Tagung sollte die "Lehren der Märzrevolution von 1848" erarbeiten. Wiederum fiel Grotewohl die Aufgabe zu, den "besonderen deutschen Weg" in die Zukunft anzudeuten: "Die in der deutschen Arbeiterbewegung organisierten politischen und wirtschaftlichen Kräfte sind 1948, auf sich allein gestellt, ebensowenig fähig, die Einheit Deutschlands zu verwirklichen, wie es 1848 das auf sich allein gestellte Bürgertum war." Die Bereitwilligkeit der SED zu einer breiten fortschrittlichen Bündnispolitik entspringe darum "tiefster politischer Einsicht, Ehrlichkeit und der Sorge um die Zukunft der ganzen deutschen Nation".

In diesem Sinne rief der Kongreß die Deutschen "zur nationalen Selbsthilfe in ganz Deutschland" auf. Da in dieser Phase des Kalten Krieges alle politischen Maßnahmen der Sowjets als einheitsfördernd ausgegeben wurden, konnte dies als Aufforderung zu nationalrevolutionärem Widerstand gegen die westlichen Besatzungsmächte verstanden werden.

Nach dem Vorbild von 1848 setzte der Kongreß einen aus 400 Mitgliedern bestehenden Deutschen Volksrat ein, dem die Aufgabe eines Vorparlaments zu einer gesamtdeutschen Nationalversammlung zukam. Er war gehalten, "alle Maßnahmen zu ergreifen, die der Durchführung der Kongreßziele für die Einheit Deutschlands und einen gerechten Frieden dienen".

Für die Wirksamkeit der national getönten Volkskongreß-Propaganda erwies es sich als ungünstig, daß die Sowjetunion am 20. März 1948 den Interalliierten Kontrollrat verließ und damit eine wichtige Klammer im Zonen-Deutschland zerstörte. Auf jeden Fall war dies eine überzogene Reaktion auf westalliierte Pläne, einen Bundesstaat aus den drei Westzonen zu schaffen.

Was dem SED-Vorstand an konkreten Zielvorstellungen "für ganz Deutschland" damals vorschwebte, mußte diejenigen in Westdeutschland, die imstande waren, die semantischen Tricks des kommunistischen Parteijargons zu durchschauen, sehr beunruhigen: "Vernichtung der kapitalistischen Monopole, der Kartelle, Syndikat-Truste und Konzerne, Verstaatlichung ihrer Unternehmungen, Demokratisierung der gesamten Verwaltung und Justiz durch Beseitigung aller Träger reaktionärer Ideen".

Die im Juni 1948 beginnende brutale elfmonatige Blockade West-Berlins schuf weitere ungünstige Aufnahmebedingungen für die Volkskongreß-Propaganda. Auch im Vorfeld der DDR-Gründung gab die SED den propagandistisch aufbereiteten "Kurs auf ganz Deutschland" nicht auf. Doch die Abwehrreflexe wurden unter den Bedingungen des Kalten Kriegs in den Westzonen so stark, daß eine Schwächung der westalliierten und der von ihr abhängigen westzonalen Politik fast gänzlich ausblieb.

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