© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Pankraz,
F. A. von Hayek und der Sog Asiens

Alle sprechen von der "Globalisierung", und fast jeder denkt dabei an einen schicksalhaft unabwendbaren sozial-ökonomischen Prozeß, in dessen Zeichen die ganze Welt zu einem einzigen riesigen Wirtschaftsunternehmen zusammenwächst, wo alle miteinander "vernetzt" sind. Diese "Vernetzung", so heißt es, wirke sich auch auf den Geist aus, so daß über kurz oder lang jedermann faktisch das gleiche denken und fühlen werde.

Pankraz hält solche Thesen für außerordentlich fragwürdig. Er hat ein ganzes dickes Buch darüber geschrieben, das jetzt in der Edition Antaios erscheint  und auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt wird: "War Platon in Asien? Adnoten zur Globalisierung des Geistes". Seine Generalthese lautet: Ja, es gibt globale Geistesprozesse, bei denen sich verschiedene Kulturen über Kontinente und Meere hinweg begegnen und gegenseitig durchdringen. Aber eine "Globalisierung" qua geistige Gleichmacherei entsteht dadurch gerade nicht, sondern im Gegenteil vielfältige Ausfaltung und Synthetisierung.

Als großes, sich über Jahrtausende hinstreckendes Beispiel und Paradigma globaler geistiger Synthesenbildung wird in dem Buch das Verhältnis zwischen Asien und Europa behandelt. Pankraz geht dabei bis auf die Ursprünge menschlicher Kultur zurück. Es gibt, so wendet er gegen Oswald Spengler ein, keine stammesmäßig  originären "Denkstile"; was es statt dessen gibt, sind von Volk zu Volk differierende Raumerfahrungen, lokale Göttergestalten, denen man opfern und mit denen man rechten kann, ein Arsenal stabiler Gebrauchsanweisungen, um am jeweiligen Ort zu überleben.

Indes, die unendlichen, über Tausende von Meilen ungegliederten Weiten Asiens trieben die dortigen Völker und Priester zu Wanderschaften, auf denen sie sich lange Zeit immer nur selbst begegneten, ließen sie das Ganze ins Auge fassen, die "Reinheit", die Einheit von Innen und Außen. So und nicht anders entstanden "Denkstile", Weistümer über den praktischen Anwendungsbereich hinaus,  die sorgsam  gehütet und extra "gelehrt" werden mußten.

Der Weg der Erkenntnis ging von Norden nach Süden und von Osten nach Westen.  Europa, die winzige, zerklüftete Peninsula am West-Süd-Rand des Kontinents (das "Abendland"), war die Empfangende. Ihre archipelhafte Insel-Ratio machte sie prinzipiell hochempfänglich für die asiatischen Ganzheitslehren. Eine große, bohrende Sehnsucht wurde da endlich befriedigt.

Alle Priester und Wanderprediger am Anfang der europäischen Hochkultur haben das so empfunden. Die ständige Frage "War Platon in Asien?" ist von vornherein positiv entschieden gewesen; es ging stets nur um den historisch verläßlichen Nachweis jener Reisen, an deren Realität niemand zweifelte. Platon stand dabei, verdientermaßen, stellvertretend für das europäische Denken insgesamt, er war sein Urvater und Repräsentant, und es galt als schlichtweg selbstverständlich, daß er die asiatischen Lehren vor Ort studiert, sie eingesogen und für die Seele Europas verständlich gemacht hatte.

Ganz freilich traute Europa diesen nordöstlichen  Lehren nie. Es gab im Laufe der Geistesgeschichte immer wieder Phasen, wo sowohl an ihrer Relevanz und Qualität als auch an ihrem Einfluß auf die europäische Tradition tief gezweifelt wurde. In der Regel folgten darauf Phasen der Reue, der Korrektur und der Freilegung bisher unbeachteter oder undurchdachter Konnexionen. Das Auf und Ab der europäischen Asienbegeisterung nachzuzeichnen und zu kommentieren, eben das ist das Anliegen des neuen Buches von Pankraz.

Sonderkapitel gelten der von ägyptischem wie griechischem Erbe inspirierten geistigen Begegnung zwischen Christentum und Islam im Mittelalter und dem "östlichen Palympsest" in der europäischen Aufklärung und speziell in der deutschen Klassik, von Herder und Goethe bis zu den Brüdern Schlegel und zu Schopenhauer. Friedrich Nietzsche erscheint schließlich als tragische Mischgestalt aus westlichem  Imperialismus und östlichem Brahmanismus.

Die Geschichte des Einflusses der asiatischen Weisheitslehren auf das europäische Denken ist ein fundamental wichtiges, auch packendes und erschütterndes Phänomen dessen, was man, wenn man will, "Globalisierung des Geistes" nennen könnte. Das bisher einzige übrigens, denn eine geistige Globalisierung Amerikas, Afrikas oder Australiens von Europa aus hat nie stattgefunden. Die instrumentell ausgerichtete europäische Insel-Ratio hat fremde Kulturen nicht beeinflußt und durchdrungen, sondern weitgehend vernichtet.

Und was heute in den Medien tagtäglich als "Globalisierung" apostrophiert wird, verdient die Kennzeichnung als geistiges Ereignis nicht. Es handelt sich um strikt technisch-ökonomische Vorgänge, um rasante Informationsbeschleunigungen mittels moderner Elektronik, um elektronisch um den Globus rasende Finanzströme, um Dumpingpreis-Operationen und um wandernde, jobsuchende Arbeitnehmermassen. Den "geistigen Überbau" dazu liefert eine "neoliberale"  Wirtschaftsideologie, die rein gar nichts mehr gemein hat mit den anspruchsvollen Theorien der Adam Smith oder Friedrich August von Hayek.

Die Behauptung, der Westen führe heute einen längst fälligen, erfolgreichen  geistigen  "Gegenschlag" gegen den Osten, stützt sich auf ausgesprochen schwächliche Wahrnehmung. "Demokratisierung" und "Säkularisierung", die beiden Schlagwörter, unter denen der Gegenschlag stattfindet, ermangeln noch gänzlich der geistigen Rechtfertigung. Sie sind in den Augen asiatischer Beobachter eher Strategien teils politischer Überwältigung, teils schlichter Vermassung, die auf eine Abschaffung der Weisheit aus sind statt auf ihre Verbreitung.

Die Absicht des neuen Buches von Pankraz besteht nicht zuletzt darin, allen Formen geistiger Überwältigung und Vermassung zu begegnen und so zur Etablierung wahrhaft freier und belangvoller Dialoge einen Beitrag zu leisten.

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