© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Nur eine islamische Schülervertretung
Iran: Wahlsieg für Anhänger des Präsidenten / Wächterrat hatte unliebsame Kandidaten aussortiert / Gleichgeschaltete Presse
Günther Deschner

Im Iran haben die Anhänger von Mahmud Ahmadi-Nedschad bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit der Sitze errungen. Aber die konservativen Kritiker des Präsidenten wurden gestärkt. Und die sogenannten Reformer schnitten kaum besser ab als erwartet. Auf diese drei pauschalen Feststellungen läßt sich das Ergebnis der Parlamentswahl im Iran bringen. Nichts ist daran überraschend.

Zwar wurde in keinem Land der Region in den fast drei Jahrzehnten seit dem Sturz des Schahs so oft gewählt wie in Iran, doch sichtbar verändert hat sich dort dadurch nichts. Ein Grund dafür liegt im iranischen Wahlsystem: Für die 290 Parlamentssitze waren vom islamischen "Wächterrat", der über dem Parlament steht, von ursprünglich 7.000 Kandidaten mehr als 1.700 Bewerber mangels Loyalität zum Islam und der Revolution von 1979 nicht zugelassen worden. Die Reformer hatten deswegen nur in rund der Hälfte der Wahlkreise landesweit überhaupt zur Wahl antreten können. Selbst gemäßigte Konservative kritisieren das Verfahren, weil sie befürchten, es könne eines Tages das ganze System in Frage stellen.

Weil in allem nur der Geistliche Führer und der Wächterrat entscheidend sind - sie genehmigen nicht nur die Kandidaten oder eben nicht, sondern überprüfen auch alle Gesetzesvorlagen des Parlaments auf Übereinstimmung mit den Vorschriften des Islam und heben sie im Zweifelsfall auf - haben selbst seriöse Kritiker das iranische Parlament schon mit einer Schülervertretung verglichen: Auch die kann Vorschläge machen, muß aber auf gnädiges Wohlwollen der Schulleitung hoffen.

Wenn der Ausgang iranischer Wahlen auch die Annahme nahelegt, daß zunächst keine Aussicht auf einen grundlegenden Wandel des herrschenden theokratischen Systems besteht, lassen sich doch Anhaltspunkte über Verschiebungen der Kräfteverhältnisse innerhalb des Regimes und über den Grad der Unzufriedenheit der Machtelite mit Ahmadi-Nedschads oft apokalyptischem und irrationalem Gebaren gewinnen, das auch bei den realistischeren Köpfen innerhalb des Mullah-Regimes Beunruhigung auslöst.

US-Drohungen halfen der "Front der Prinzipienfesten"

Das hat sich bei dieser Wahl auch in einer Aufspaltung der Konservativen, die sich selbst als "die Prinzipienfesten" bezeichnen, in zwei Lager ausgedrückt. Die größte und regierungsfreundlichste dieser beiden Gruppierungen nennt sich "Vereinigte Front der Prinzipienfesten". Zu ihr gehören sowohl Unterstützer als auch Konkurrenten von Präsident Ahmadi-Nedschad. Ihr Spitzenkandidat ist der bisherige Parlamentspräsident Gholamali Haddad Adel, der mit einem haushohen Ergebnis auch ins neue Parlament gewählt worden ist. Die zweite Gruppierung nennt sich "Umfassende Front der Prinzipienfesten".

Fast wie in Monty Pythons "Leben des Brian" sind die Unterschiede zwischen der "vereinigten" und der "umfassenden" Gruppe weniger grundsätzlicher Natur, sondern rühren aus personellen und taktischen Momenten: Zur "Umfassenden Front" gehören bekannte konservative Konkurrenten Ahmadi-Nedschads wie Ali Laridschani, der 2007 wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Präsidenten von seinem Amt als Chef-Atomunterhändler zurücktrat. Auch Anhänger von Teherans Bürgermeister Mohammed Baker Kalibaf werden ihr zugerechnet. Beide Politiker waren Ahmadi-Nedschad bei der Präsidentenwahl 2005 unterlegen und könnten im kommenden Jahr erneut gegen ihn antreten. Beide machen den Präsidenten für die verheerende Wirtschaftslage des Landes verantwortlich, die hohe Inflation, die Arbeitslosigkeit und den Benzinmangel im Ölland Iran. Laridschani gewann seinen Wahlkreis in der Stadt Ghom. Beobachter vermuten, daß er nun das Amt des Parlamentspräsidenten anstrebt, um vor der Präsidentenwahl 2009 seine Position gegenüber Ahmadi-Nedschad zu stärken.

Auch die Kräfte, die unter dem Namen "Koalition Reformistischer Gruppen" zur Wahl antraten, setzten ihre Hoffnungen darauf, von der verbreiteten Unzufriedenheit zu profitieren. Außenpolitisch kritisieren sie Ahmadi-Nedschads konfrontative Rhetorik gegenüber dem Westen. Wie auch wegen der Behinderung ihrer Chancen durch den Wächterrat nicht anders zu erwarten, haben die Reformer in größeren Städten nur unwesentlich zulegen können. Im Westen werden die Reformer häufig überschätzt. Auch sie wollen oder können keine grundsätzliche Opposition gegen das theokratische Herrschaftssystem vertreten, sondern repräsentieren dessen flexibleren, modernen Wirtschaftsmethoden und einem vermittelbaren Politikstil aufgeschlossenen Flügel. Sie sind in verschiedene Gruppen fragmentiert, und auch ihre herausragenden Wortführer, die Ajatollahs Mohammad Chatami und Hashemi Rafsandschani, beide Vorgänger Ahmadi-Nedschads im Präsidentenamt, waren in ihrer jeweiligen Amtszeit ihrem jetzt artikulierten Modernisierungs- und Reformansprüchen nicht gerecht geworden.

Die Wahlbeteiligung erreichte trotz des ungünstigen Wahltermins (eine Woche vor Nowruz, dem iranischen Neujahrsfest) weit mehr als 60 Prozent. 2004 lag sie bei nur 51 Prozent. Mag sein, wie der Oberste Geistliche Führer bereits kommentierte, daß sich in der höheren Wahlbeteiligung auch ein wenig die ungeschickte Rhetorik des US-Präsidenten George W. Bush gegen den "Schurkenstaat" spiegelt. Die gleichgeschaltete Presse hatte die Wähler dazu aufgefordert, dem "großen Satan" mit dem Stimmzettel die gebührende Antwort zu geben.

Foto: Iranerin vor Wahlwerbung: Theokratisches Herrschaftssystem

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