© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Olympiasieger von 1936 stand Modell für Sowjetdenkmal
Estland: Post ehrt Ringerlegende Kristjan Palusalu mit Briefmarke / Versetzter "Bronze-Soldat" belastet weiter die angespannten Beziehungen zu Rußland
Martin Schmidt

Eine vorige Woche in Estland erschienene Briefmarke verursacht diplomatische Verwicklungen mit Rußland. Die Marke zeigt den estnischen Ringer Kristjan Palusalu, der am 10. März hundert Jahre alt geworden wäre. Er hatte bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin die estnische Fahne getragen und zwei Goldmedaillen gewonnen.

Nach dem Zwangsanschluß der kleinen Ostseerepublik an die Sowjetunion wurde er 1940 deportiert. Nach einem mißlungenen Fluchtversuch meldete er sich zur Roten Armee, um so dem Todesurteil zu entgehen. Er desertierte jedoch laut den Memoiren des finnischen Turners Heikki Savolainen während des "Fortsetzungskrieges" (1941/44) in finnische Gefangenschaft. Von dort kehrte er in seine unter deutscher Verwaltung stehende Heimat zurück.

1944, nach dem Wiedereinmarsch der Roten Armee, kam er erneut ins Gulag. Später durfte Palusalu, der sich einer ungebrochenen Popularität unter seinen Landsleuten erfreute, als Trainer in der Sowjetrepublik Estland arbeiten. Eine zweifelhafte Bedeutung erlangte der 1987 verstorbene Ringer, indem er dem estnischen Bildhauer Enn Roos als Vorbild für das an exponierter Stelle errichtete Sowjetdenkmal in der Hauptstadt Reval (Tallinn) diente.

Beseitigung eines "Symbols der Fremdherrschaft"

Die auch als "Aljoscha" bekannte Statue zur Feier der angeblichen Befreiung der Stadt durch die Rote Armee zeigt den Körperbau und die Gesichtszüge Palusalus, was Roos seinerzeit allerdings dementierte, da die Sowjets in dem Sportler einen Verräter sahen. Nachdem die estnischen Behörden den Bronze-Soldaten Ende April letzten Jahres versetzen ließen, wurde auch die Lebensgeschichte Kristjan Palusalus zum Politikum.

Der Denkmalssturz erfolgte aufgrund eines am 15. Februar 2007 getroffenen Parlamentsbeschlusses über das Verbot der Zurschaustellung von Monumenten, die die "sowjetische Besatzung verherrlichen" (JF 20/07). Gegen heftige Widerstände eines Teils der in der kommunistischen Ära zugezogenen etwa 400.000 Russen, insbesondere vieler Jugendlicher, wurde die Statue in einer Blitzaktion abtransportiert, während man die sterblichen Überreste der auf dem umliegenden Gelände begrabenen Rotarmisten auf einen Militärfriedhof am Rande der Stadt umbettete.

Die seit April 2007 regierende Mitte-Rechts-Koalition von Premier Andrus Ansip behauptete sich mit ihrem international umstrittenen Vorgehen gegen eine sowjetnostalgische bzw. großrussische Geschichtspolitik, die sich in ihren Augen längst überlebt hat. Da es um die Beseitigung eines "Symbols der Fremdherrschaft" ging, scheute das kleine Estland nicht den Streit mit dem großen Nachbarn Rußland, das den Konflikt bewußt anheizte und instrumentalisierte. Auch danach zeigte es sich selbstbewußt und kämpferisch. Gegen vier mutmaßliche Initiatoren der Unruhen läuft in Reval derzeit ein Gerichtsverfahren. Außerdem schloß Estland seine Grenzen für elf Mitglieder der kremltreuen Jugendbewegung "Naschi" (Die Unsrigen), denen man vorwirft, in Estland Proteste gegen die Denkmalsdemontage organisiert zu haben.

Nicht zuletzt wird den Naschi-Aktivisten vorgehalten, sie seien damals für die Belagerung der estnischen Botschaft in Moskau verantwortlich gewesen sowie für die Erstürmung einer Pressekonferenz von Botschafterin Marina Kaljurand, deren Leibwächter sie mit Pfefferspray verteidigen mußten. Seit dem Beitritt Estlands zum Schengen-Raum im Dezember 2007 gilt dieses Einreiseverbot nun für alle Unterzeichnerstaaten, was die russische Öffentlichkeit erneut in Rage versetzte.

Foto: Palusalu-Briefmarke: Konflikt

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen