© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Im Dunkel der Geschichte
Kino: "Meine Mütter - Spurensuche in Riga"
Martin Lichtmesz

Der nun in den Kinos angelaufene Dokumentarfilm "Meine Mütter" ist ein fesselnder Beitrag zur deutschen Geschichte im Osten, der aus einer unerwarteten Ecke kommt. Regie führte das Aushängeschild der Schwulenbewegung und einstige Berufs-Enfant terrible Rosa von Praunheim, alias Holger Mischwitzky. Der allmählich auf die Siebzig zugehende Regisseur hat zwar seinen Platz in der Filmgeschichte, war aber nie ein wirklich großer Spielfilmmacher. Seine Dokumentarfilme jedoch waren stets eine Klasse für sich, und sie profitieren inzwischen von der Altersgelassenheit des Regisseurs. Der Dokumentarist Praunheim zeigt eine ansteckende Neugier selbst gegenüber "kontroversen" Protagonisten wie in seinem bemerkenswerten Film "Männer, Helden, schwule Nazis" (JF 19/06).

Der Stoff für "Meine Mütter" scheint aus einem Melodram zu stammen: Wenige Jahre vor ihrem Tod offenbarte Praunheims 94jährige Mutter ihrem Sohn, daß sie ihn als Findelkind im deutsch besetzten Riga adoptierte, wo er Ende 1942 geboren wurde. Gertrud Mischwitzky starb 2003, und Praunheim machte sich auf eine jahrelange, akribische Suche nach seiner biologischen Mutter. Unglaublicherweise wurde er tatsächlich fündig. Edith Radtke gebar ihren unehelichen Sohn in einem Gefängnis (!) und starb 1946 unter ungeklärten Umständen in einer psychiatrischen Anstalt. Viele Spuren verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Die Identität von Praunheims Vater bleibt ein Rätsel.

Praunheim stellt seine Familiengeschichte in den Kontext kollektiver Schicksale, etwa der Massenerschießungen von lettischen Juden, der Opfer der NS-Euthanasie-Programme und dem Heimatverlust der Deutschbalten. Trotz seiner Generationszugehörigkeit war Praunheim niemals ein typischer "Achtundsechziger". Seine Zieheltern waren zwar in den Nationalsozialismus verstrickt, das Verhältnis des Filmemachers zu ihnen jedoch zeitlebens eng und herzlich. So will Praunheim im Gegensatz etwa zu Malte Ludin (JF 17/05) nicht anklagen, sondern verstehen. "Meine Mütter" ist einer seiner spannendsten Filme geworden, der nicht nur für sein übliches Nischenpublikum von Interesse ist.

Foto: Rosa von Praunheim: Ansteckende Neugier

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