© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

Vom Wunschdenken zur Wahrheit
US-Finanzkrise: Die Überflutung mit US-Dollar-Liquidität hat die nun geplatzte Spekulationsblase geschaffen
Wilhelm Hankel

Nach dem Notverkauf der New Yorker Investmentbank Bear Stearns an die zweitgrößte US-Bank JP Morgan Chase wächst weltweit die Sorge vor weiteren Zusammenbrüchen. Die weltgrößte Investmentbank Goldman Sachs verkündete Milliardenabschreibungen, seit November verloren ihre Aktien fast die Hälfte ihres Wertes. Die Investmentbank Lehman Brothers verkündete einen Gewinneinbruch von 57 Prozent. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück warnt deshalb vor "der größten Finanzkrise in den letzten Jahrzehnten". Der jeder Staatsgläubigkeit unverdächtige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann verlangt inzwischen sogar eine "konzertierte Aktion von Banken, Regierungen und Notenbanken". Er glaube "hier nicht allein an die Selbstheilungskräfte der Märkte".

Denn der sich ausweitende Brand der Finanzkrise bedroht nicht nur die führenden Bankhäuser der Welt, sondern (was noch gefährlicher ist) auch die Währungen, in denen sie ihre faulen Geschäfte tätigen, allen voran den US-Dollar. Die besondere Pointe dabei ist, daß die Währung, in der solche Geschäfte am wenigsten getätigt werden - der Euro -, davon profitiert. Doch seine Himmelfahrt verdeckt, daß die europäische Gemeinschaftswährung alles andere als ein "sicherer Hafen" für den um seine Ersparnisse besorgten Anleger ist. Im US-Dollar bedrohen ihn Bankpleiten und Währungsverluste, im Euro Kaufkraftentzug durch Inflation und der von der Aufwertung ausgehende Druck auf Beschäftigung, Einkommen und exportgeführte Konjunkturen wie die deutsche.

Die eigentliche Sorge aber ist: Wann wird aus der Finanzkrise eine Beschäftigungs- und damit eine politische Krise? Das Unheimliche daran ist: Darauf haben weder die für die politische Stabilität ihrer Länder verantwortlichen Regierungen noch die mit der Eindämmung der Krise beschäftigten Zentralbanken und schon gar nicht die Verursacher des Übels - die Banken selber - eine Antwort. Je bedrohlicher die Krise wird, desto lauter und hilfloser rufen sie nach dem Staat als Retter, der nach einer Orgie der Übergewinne ihre Verluste sozialisieren soll - eine Linie, der auch die mit der Bankwelt verbündeten Zentralbanken von der US-amerikanischen Federal Reserve (Fed) bis zur Europäischen Zentralbank (EZB) sklavisch folgen.

Über Nacht gilt wieder als letzte, alternativlose Weisheit, was jahrzehntelang als "inflationärer Sozialismus" verketzert wurde: daß man mit Gelddrucken keine "strukturellen" Probleme und Defizite aus der Welt schaffen könne. Dennoch muß sich ein Heros der Finanzwelt wie der frühere US-Währungshüter Ex-Fed-Chef Alan Greenspan, der zwei Finanzkrisen (die von 1987 und 2001/02) mit dieser Methode wegzauberte, den Vorwurf gefallen lassen, Hauptschuldiger an der heutigen Misere zu sein. Seine Überflutung der Märkte mit US-Dollar-Liquidität habe überhaupt erst die Voraussetzungen für die Spekulationsblase geschaffen, die jetzt unter seinem Nachfolger platzt.

Die schlichte, jedoch verdrängte Wahrheit ist: In einer weltweit verflochtenen und banktechnisch ausgefeilten Geldwirtschaft kann es kein freies und unbeaufsichtigtes Kreditsystem geben. So wie die Gewerbepolizei den Bürger vor faulem Obst und Gemüse im Supermarkt schützt, muß ihn eine sachkundige "Kreditpolizei" vor der Profitsucht (zu hohem Risiko, windigen Anlagen, uneinbringlichen Forderungen) bei Banken, Fonds und anderen Finanzagenten bewahren: Deren effiziente Aufsicht und Kontrolle ist unverzichtbar.

Die Erkenntnis ist uralt; sie geht auf die großen liberalen (noch nicht "neoliberalen") Ökonomen des vorigen und vorvorigen Jahrhunderts zurück; sie wurde im Super-Gau des Welt-Kapitalismus vor annähernd 80 Jahren (im Anschluß an den "Schwarzen Freitag" von 1929) bestätigt. Damals entstanden die ersten Kreditaufsichtsgesetze und -ämter - als erstes und beispielgebendes das deutsche Reichsgesetz über das Kreditwesen vom 5. Dezember 1934 (RGBl. I. S. 1203), dem Vorläufer des Kreditwesengesetz (KWG) von 1961.

Der britische Ökonom John Maynard Keynes entwickelte am Vorabend und während des Zweiten Weltkriegs die Blaupausen für eine weltweite Währungszusammenarbeit und -aufsicht: das spätere System von Bretton Woods. Seine Kündigung (statt Reform) kurz vor Ausbruch der Ölkrise 1973 - maßgeblich befeuert von der Bankenlobby und (leider auch) großen Teilen der Wissenschaft - hat die Grundlagen für die heutige Fehlentwicklung geschaffen.

Und diese könnte aberwitziger nicht sein: Einem Kreditbedarf der Weltwirtschaft in der Größenordnung von 10 Billionen US-Dollar jährlich stehen Finanzumsätze in 90facher Höhe gegenüber: 900 Billionen US-Dollar! Nur 1,5 Prozent dieses Geldes wird gebraucht, um reale Exporte, Importe und Direktinvestitionen zu finanzieren. Und der Rest? Die Bankwelt treibt damit die Preise von Aktien und anderen Finanzaktiva in die Höhe, sie inflationiert die Vermögenswerte. Und sie hat darüber hinaus einen wahren Dschungel unechter Wertpapiere geschaffen: Derivate, "strukturierte Kredite" (Kredite von Krediten und Zahlungsversprechen auf Kreditausfälle). Und warum? Um über diese Kreditausweitung im reinen Finanzgeschäft zusätzliche Gewinne scheinbar ohne Zusatzrisiko zu machen. Eine folgenschwere Fehleinschätzung: Denn es ist ja gerade das hohe Risiko dieser "Papiere", das die Gewinne ermöglichte. Jetzt, da diese Papiere platzen, erzeugen sie nur noch Verlust (JF 5/08).

Es gibt nur zwei Wege, die aus dieser Zwangslage herausführen: Entweder man läßt die Krise ausbrennen, was viele fordern - mit dem gefährlichen Risiko, daß sie doch noch zu einer weltweiten Realkrise führt wie in den 1930er Jahren. Oder man kehrt nach Kassensturz und Bereinigung der Bankenstruktur zur alten, aber reformierten Ordnung von vor 1973 zurück, einem den Bedürfnissen der Zeit angepaßten Bretton Woods II. Verhängnisvoll bleibt jedoch der Versuch der Zentralbanken (allen voran der US-Fed), die Ursachen der Krise (die Kreditinflation) durch ihre Folgen (noch mehr Inflation) zu bekämpfen. Mit dem Leichtsinn der Banker bleiben der Welt auch deren periodische Krisen erhalten.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel leitete unter Karl Schiller die Abteilung Geld und Kredit im Bundeswirtschaftsministerium. Aktuell zur Finanzkrise erscheint demnächst die 2. Auflage seines Buches über "Die Euro-Lüge und andere volkswirtschaftliche Märchen".

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