© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/08 04. April 2008

Vorauseilender Gehorsam
Niederlande: Der islam-kritische Kurzfi lm "Fitna" erregt viele Gemüter / Amateurhafte 17 Minuten arten zu Staatsaffäre aus
Michael Kreuzberg

Kaum war die Katze aus dem Sack, war sie auch schon wieder drinnen. Nur zwei Tage nach der Veröffentlichung des seit Monaten mit nervöser Anspannung erwarteten Kurzfilms "Fitna" (arabisch für "Zwietracht") zog die britische Netzseite Liveleak.com aufgrund von Morddrohungen das Video des rechtsliberalen niederländischen Politikers Geert Wilders vorerst zurück. "Dies ist ein trauriger Tag für die Redefreiheit im Netz", lautete die offizielle Verlautbarung, "aber wir müssen die Sicherheit und Gesundheit unserer Mitarbeiter über alles andere stellen."

Das erschien wie die geradezu kalkulierte Pointe einer monatelangen, hysterischen Kampagne, in der Wilders' Film die Rolle des Schwarzen Phantoms spielte. Allein die Ankündigung des "islam-kritischen" Videos im November 2007 genügte, daß die Regierung in Den Haag ihre Botschaften mit Evakuierungsplänen ausstattete und auf niederländischen Militärstützpunkten wie in Afghanistan militärische Sicherheitsvorkehrungen traf.

Der christdemokratische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende distanzierte sich in vorauseilendem Gehorsam schon mal von dem Film (ohne ihn zu kennen) und äußerte seine Sorge um das Wohl seiner Bürger. Das Justizministerium setzte Untersuchungen in Gang, ob der Film nicht schon im Vorfeld verboten werden könne. Damit hatte die Regierung ein paranoides Klima erzeugt, noch bevor es zu irgendeiner Gewaltreaktion von muslimischer Seite kam.

Unbegründet war die regierungsamtliche Angst, die sogar die EU-Ebene erreichte, freilich nicht. Die Erinnerung an die blutigen Unruhen, die in der islamischen Welt als Reaktion auf die dänischen Mohammed-Karikaturen (JF 8/06) ausbrachen, sitzt gerade einem Land tief in den Knochen, in dem bereits zwei Personen des öffentlichen Lebens an der Multikulti-Front gefallen sind, davon einer in einem unmittelbaren Zusammenhang mit anti-islamischer Agitation: Der niederländische Regisseur Theo van Gogh mußte 2004 für seinen Film "Submission" (nach einem Drehbuch der aus Somalia stammenden rechtsliberalen Politikerin Ayaan Hirsi Ali) mit dem Leben bezahlen (JF 47/04). Keine TV-Station wagte es daher, die Ausstrahlung von "Fitna" zu übernehmen, Wilders mußte ins Internet ausweichen, doch auch da machte der US-Anbieter Network Solutions einen Rückzieher (JF 14/08).

Als medialer Hauptbeschwichtiger trat das zum Teil staatlich geförderte "Radio Netherlands Worldwide"-Netzwerk auf, das eine Anti-Wilders-Internetseite schuf und pünktlich zur Veröffentlichung von "Fitna" ein Kontervideo ausstrahlte. Unter anderem gibt darin der türkischstämmige Filmemacher Ersin Kris erleuchtete Demokratie-Exegesen zum Besten: "Der Kern der niederländischen Demokratie ist, daß sie jeden gleich behandelt. Und Wilders will das ändern, weil er Muslime anders behandeln will als das einheimische Volk. Also ist seine Partei nicht wirklich demokratisch. Darum ist er eine größere Gefahr für die niederländische Demokratie als der Islam." Kris' "Gegenfilm" erschien einen Monat vor "Fitna" - ohne daß er Wilders' Film gesehen hätte.

Inzwischen griff auch die Nato warnend ein. Drohungen und feindselige Reaktionen kamen aus Lybien, Iran und Ägypten. Pakistan blockierte das Internetvideoportal YouTube.com, als ein angeblicher Werbefilm zu "Fitna" auftauchte. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy garantierte immerhin den Niederländern im Falle von Drohungen seine Solidarität. Als "Fitna" am 27. März 2008 endlich ins Internet ging, hagelte es öffentliche Verurteilungen, sogar vom Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon. Selbstredend distanzierte sich die Regierung der Niederlande nochmals - mit der Unterstützung der 27 EU-Außenminister. Ausschreitungen wie im "Karikaturenstreit" blieben bis dato aus, dafür hagelte es zunächst Copyright-Klagen.

Wilders' Video selbst entpuppte sich als amateurhaftes Pamphlet im You­Tube-Stil. Die knapp 17 Minuten aneinandermontierter Greuel aus Nachrichtensendungen, versehen mit notorischen Koransuren, bieten nichts Neues. Die richtigen "liberalen" Knöpfe drückend, streicht Wilders all das am Islam hervor, was dem Westen als satanische Häresie gilt: Frauenunterdrückung, Schwulenfeindlichkeit, Antisemitismus, Ablehnung der Demokratie. Islamistische Hetzreden und blutige Leichen, untermalt mit einer penetranten Dauerschleife aus Edvard Griegs "Peer Gynt", sollen das Gemüt des Zuschauers bewegen. Begleitet wird das ganze mit Sottisen über den "faschistischen" Charakter des Korans.

Wilders' Propaganda-Video ist indessen nicht greller, primitiver und brutaler als die von ihm zitierten haßerfüllten Protagonisten oder eben die wirkliche Lage der Dinge selbst, die sich trotz aller Zimperlichkeit der Intellektuellen, die über den "Populismus" von "Fitna" die Nase rümpfen, nicht wegdiskutieren läßt.

Die Erklärung der EU-Minister, "die große Mehrheit der Muslime lehnt Extremismus und Gewalt ab", geht am Kern der Kritik Wilders' vorbei, die dahin zielt, daß die liberalen Eliten Europas eine massive Überfremdung und Infiltration durch islamische Einwanderermassen zugelassen haben, die zwar in ihrer Mehrheit selbst nicht dem radikalen Islam angehören, ihm aber eine nicht zu unterschätzende Bresche geschlagen haben. Das Video präsentiert Statistiken, wonach die Zahl der in den Niederlanden lebenden Moslems von rund 1.400 im Jahre 1960 auf 458.000 im Jahre 1990 angewachsen ist. Die letztere Zahl hat sich bis 2004 mehr als verdoppelt - dies wohlgemerkt in einem Land mit 16,5 Millionen Einwohnern. Die Anwältin Els Lucas hat gegen Wilders geklagt, weil der Film "Haß predige", da er "suggeriere", daß "von dieser Zahl eine Bedrohung ausgehe".

Viele Kritiker Wilders', die dessen mangelnde Feinsinnigkeit beklagen, verkennen indes, daß der Mann sich im Kriegszustand befindet. Nach mehreren Morddrohungen steht der Abgeordnete Tag und Nacht unter Bewachung durch Leibwächter. Man wird mit Henryk M. Broder die phrasengesättigten Stellungnahmen Balkenendes und diverser EU-Granden unschwer als feige "Appeasement"-Formeln erkennen.

Im Auge behalten sollte man allerdings auch, daß die Niederlande ein Musterbeispiel dafür sind, wie eine liberalistische Politik ein ganzes Land in einen wehrlosen Augiasstall verwandeln kann, der am Ende den Kräften, die zu seiner eigenen Zerstörung führen, Tür und Tor öffnet.

Die Welt, die Wilders gegen die "intolerant-faschistischen" Muslime verteidigen möchte, hat sich längst selbst entwaffnet und ihres moralischen Halts begeben. Auf einem anderen Blatt steht auch, wie sehr die propagandistische Verbreitung der Islamophobie im Westen der US-Aggressionspolitik nützt - und wie diese wiederum die moslemische Radikalisierung beschleunigt.

Der Film "Fitna" von Geert Wilders war bei Redaktionsschluß (im niederländischen Original und in einer Zweitversion mit englischsprachigen Untertiteln) auf dieser Internetseite zu finden: www.wikileaks.org/leak/fitna-flash-video/index.html

Foto: Ausschnitte aus dem Wilders-Film "Fitna": "Dies ist ein trauriger Tag für die Redefreiheit im Netz", lautete die offizielle Verlautbarung zum Löschen des Internetstreifens bei Lifeleak.com, "aber wir müssen die Sicherheit und Gesundheit unserer Mitarbeiter über alles andere stellen."

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