© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/08 04. April 2008

Frisch gepresst

Demographie. Keine sozialwissenschaftliche Disziplin hat nach der "Wende" einen solchen Aufschwung genommen wie die Demographie. Über "Reproduktionsraten" und die "Fertilität" der europäischen Frau kann heute jeder Feuilletonleser mitreden. Kaum jemandem ist jedoch bewußt, daß Ursprünge demographischer Forschung bis in die Kameralwissenschaft der Frühen Neuzeit zurückzuverfolgen sind und daß die Bevölkerungswissenschaft unter dem Dach der Nationalökonomie schon im 19. Jahrhundert blühte und gedieh, bevor sie in den Debatten über "Volkstod" und "Rassenverfall" zu spätwilhelminischer Zeit erstmals auf breiter Front öffentliches Interesse erregen konnte. Wie tief die Tradition dieser Disziplin zurückreicht, davon vermittelt Ralph-Jürgen Lischkes "Biographisches Lexikon zur Geschichte der Demographie" (Personen des bevölkerungswissenschaftlichen Denkens im deutschsprachigen Raum vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Duncker&Humblot, Berlin 2007, 327 Seiten, 64 Euro) einen umfassenden Eindruck. Daß sich dabei eine ansehnliche Schnittmenge mit dem von Armin Mohler in seinem Handbuch zur Konservativen Revolution erfaßten Personal ergibt, versteht sich von selbst. Doch wer hätte erwartet, neben Karl Saller oder Alfred Ploetz auch Daniel Friedrich Schleiermacher "im Lischke" zu begegnen? 

 

Deutschland 2022. Die nicht zuletzt wegen ihrer vor Gericht endenden Auseinandersetzung mit dem Spiegel-Autor Henryk M. Broder bekannte Journalistin Tanja Krienen entwirft in ihrer Kurzgeschichte "Schönes Grün" eine düstere Vision der bundesdeutschen Gesellschaft. Sie fällt im Jahre 2007 für 15 Jahre ins Koma und wacht in einer ökofaschistischen Gesellschaft auf, in der jegliche Individualität bis hin zu den Geschlechtern abgeschafft wurde. Im Gegensatz zu der ähnlichen Geschichte aus "Good bye Lenin" deutet sich dieser Schock in der Zukunft, in der Kultur, Kunst und Schrift als "individualistisch" abgeschafft gelten und Kritik an herrschenden Zuständen als faschistisch und konsumistisch kriminalisiert wird, in der jetzigen Zeit des Tugendterrors bereits an. Selbstverständlich ist 2022 jegliche Art von Genußmittel verboten und das Leben ist von der Krippe bis zu den "Fröhlichen Endzeithäusern" durchgeplant. Die Erderwärmung wurde zwar verhindert, aber jeder Bürger hat ein Bewegungskontingent von zehn Kilometern am Tag. Gegen die Herrschaft von Hybriden rebellieren sogenannte Krippenkids, die die letzten Reste von Kultur pflegen. Krienen entwirft eine Diktatur des "Guten" mit erschreckenden Auswüchsen (Schönes Grün. 2022 - die nicht überleben wollen. Und andere realistische Erfindungen. Neue Welten Verlag, Herford 2007, broschiert, 68 Seiten, 8,50 Euro).

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