© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Der Geist steht rechts
Das andere '68: Die Geburt eines neuen Konservatismus aus dem Widerspruch zur Kulturrevolution
Michael Paulwitz

Die Früchte eines gelungenen Marschs durch die Institutionen werden erst im Rentenalter so richtig süß. Während die "Achtundsechziger", die sich den von der Kriegsgeneration aufgebauten Wohlfahrtsstaat aufs schönste so eingerichtet haben, daß die Jahrgänge vor und nach ihnen zur Maximierung der eigenen Sorglosigkeit in den Dienst genommen wurden, sich mählich auf einen behaglichen Ruhestand einrichten, füllen zum vierzigsten Jahrestag die Heldengeschichten und Fronterinnerungen der Kulturrevolutionäre die Feuilletonspalten. Selbst kritische Töne werden im eigenen Milieu abgehandelt. Unerwähnt bleiben die geistigen und politischen Gegenspieler - und die Opfer.

Opfer? Ja, auch die gibt es, und sie haben durchaus ein Epitaph verdient: die Geschmähten, Gemobbten, mit rüden Methoden Traktierten unter den Professoren, Wissenschaftlern, Autoren und jungen Talenten; die willkürlich zerstörten Karrieren und beschädigten Biographien Andersdenkender, nicht zu vergessen die indirekten Todesopfer - jener Professor etwa, dem die fortgesetzten rohen Attacken aus der Studentenschaft einen tödlichen Herzinfarkt eintrugen. Aber es gibt auch die Mordopfer - Politiker, Wirtschaftsführer, Beamte, Staatsdiener - der RAF-Terroristen, eines geistigen, vielleicht illegitimen Sprosses der Achtundsechziger und ihrer Methode, sich unter dem Vorwand aggressiver "Vergangenheitsbewältigung" schneller an die Schalthebel in Staat und Gesellschaft durchzuboxen. Auch dies gehört zum Generationenjubiläum, wenn schon die augenfällige Verwandtschaft beim Dreißig-Jahres-Gedenken an den "Deutschen Herbst" von 1977 weitgehend unter den Tisch fiel.

Solche historischen Einordnungen sind notwendig. Wichtiger für die Lage, in der wir heute leben, ist indes das Fortwirken der Positionen und Frontstellungen von 1968 bis in unsere Tage. Die Geschichte der Achtundsechziger ist nicht nur die Erzählung vom Durchdrücken ihrer Ideologeme und vom Werdegang ihrer Protagonisten, sondern auch die Entstehungsgeschichte eines modernen Konservatismus und einer intellektuellen Rechten in Deutschland, die an der dialektischen Auseinandersetzung mit dem linksliberalen Zeitgeist, der mehr als einmal schwer in die Defensive geraten ist, gewachsen und gereift ist.

Auf den ersten Blick sieht es freilich nach einem Siegeszug der Achtundsechziger auf der ganzen Linie aus. Ihr Revoluzzer-Vokabular ist allgegenwärtig, krause Ideologien aus ihrem Dunstkreis wie "Gender Mainstreaming" sind amtliche Regierungspolitik geworden, Schuldkult und Vergangenheitskomplexe haben den Rang einer unhinterfragten und unhinterfragbaren säkularen Quasi-Staatsreligion erlangt. Bürgertum und Akademikerschaft sind strukturell nicht mehr konservativ, sondern linksliberal; die 68er-Generationenpartei der Grünen darf sich heute als eigentliche bürgerliche Kraft im Lande fühlen.

Parteipolitische "Anti-68er" sucht man demnach in der intellektuellen Wüste deutscher Parlamentsbänke heute meist vergebens. Wer als rebellischer junger Konservativer aus Widerspruch gegen "Achtundsechzig", befeuert vielleicht durch die harten Bayernkurier-Kolumnen eines Marcel Hepp, in die Junge Union eintrat, ist längst verschwunden oder hat innerlich den geistigen Heimfall an die scheinbar siegreiche Seite vollzogen. Das konturlose Gesicht der Union von heute sind die Wulffs, die statt des Che-Guevara-Konterfeis im Jugendzimmer ein Helmut-Kohl-Wahlplakat neben dem Poster einer kommunistischen US-Schwarzenführerin installiert hatten. Das etablierte deutsche Parteiensystem kennt nur noch West-Achtundsechziger und Original-Ost-Kommunisten.

Die "Tendenzwende", die viele Konservative in den siebziger Jahren beflügelte, mag eine Illusion gewesen sein, die sich zumindest in ihrer parteipolitischen Variante mit der ausgebliebenen "geistig-moralischen Wende" nach dem Kohl-Wahlsieg von 1982 erledigt hatte. Das Hauptbetätigungsfeld der geistigen Widersacher der Achtundsechziger war indes der vorpolitische und außerparlamentarische Raum. Publizisten wie Armin Mohler und Caspar von Schrenck-Notzing schufen mit Criticón die stilbildende Stimme der Kulturkonterrevolution. Vordenker wie Arnold Gehlen und Robert Hepp, Helmut Schoeck und Helmut Schelsky, Henning Eichberg und Hans-Dietrich Sander, um nur einige zu nennen, erarbeiteten ausgegrenzt vom Mainstream-Diskurs die Grundlagen einer konservativen Gegenöffentlichkeit.

Vieles davon ist mit dem verdrängenden Generationenwechsel an den gesellschaftlichen Schalthebeln verschwunden, mancher Ansatz hat den Praxistest nicht bestanden oder ist in die ideologische Unfruchtbarkeit des Extremen abgedriftet. Geblieben ist der modernen deutschen Rechten aus der vier Jahrzehnte währenden Auseinandersetzung mit "Achtundsechzig" die Erkenntnis, daß Vernetzung die Grundlage des Erfolges ist und daß dem tagespolitischen Ringen ein Kampf der Ideen vorausgehen muß.

Dieser Kampf ist keineswegs aussichtslos. Der Geist steht rechts, die ideenlose ideologische Beharrung links. Mehrmals stand die herrschende Klasse der Achtundsechziger am Rande des intellektuellen und moralischen Bankrotts. Den "Historikerstreit" Mitte der Achtziger, den Untergang des kommunistischen Imperiums und die nationalstaatliche Wiedervereinigung und den Zusammenbruch der Multikulturalismus-Lüge haben sie nicht mit der Kraft der Argumente überstanden, sondern mit der Kraft der einmal erlangten kulturellen Hegemonie und Dominanz und mit Hilfe der in den gesellschaftlichen Apparaten geschwungenen Keule von Zensur und Diffamierung. Die nächste Herausforderung - der drohende Zusammenbruch des aussöhnenden Sozialstaats im Zangengriff von Globalisierung und demographischer Katastrophe - könnte die letzte sein vor dem endgültigen Gang aufs Altenteil.

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