© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Milch in antiquierten Blechkannen
Landwirtschaft: Rumänien und Bulgarien sind nicht auf EU-Standard / Erweiterung um die Türkei würde die Probleme verschärfen
Harald Ströhlein

In diesem Jahr feiert die Europäische Union ihren 15. Geburtstag. Denn im Jahre 1993 wurde die 1957 gebildete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) angesichts ihrer umfangreich erweiterten Aufgabenstellung in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt. Die EG ist das Kernstück der EU. In der Umgangssprache hat sich zwar der Begriff EU durchgesetzt, jedoch verfügt weiter nur die EG über völkerrechtliche Handlungsfähigkeit.

1957 brachten mit Unterzeichnung der Römischen Verträge sechs Staaten - Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande - ihre konformen Interessen zusammen, 1993 waren es bereits ein Dutzend. Im Rahmen der Osterweiterung um zehn Staaten im Jahre 2004 und deren Fortsetzung vor gut einem Jahr hat sich die EU zu einem kunterbunten Vielvölkerstaat aus 27 Ländern aufgebläht.

Und die Liste ernst zu nehmender Beitrittskandidaten ist lang. Zu den schon offiziellen Beitrittskandidaten zählt auch die Türkei, die beharrlich ihren Anspruch auf eine vollwertige EU-Mitgliedschaft verfolgt. Daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis auf diese Weise Okzident und Orient verschmelzen, zeigt sich daran, daß die innerstaatliche Entwicklung der Türkei und aller weiteren Beitrittskandidaten regelmäßig von EU-Experten unter Leitung des Erweiterungskommissars Olli Rehn geprüft wird.

Das ist auch notwendig, denn wie der zuletzt vorgelegte Erhebungsbericht offenbart, fehlt es streckenweise an allen Ecken und Enden. Ob Albanien oder Bosnien-Herzegowina, Kosovo oder Montenegro - der EU-Standard beispielsweise in Fragen der Tiergesundheit oder Lebensmittelsicherheit ist bei weitem nicht erreicht. Dies gilt um so mehr für die Türkei, deren veterinärmedizinischer Sektor erhebliche Defizite aufweist. Experten halten die mangelnde Kontrolle von Tierkrankheiten - und dabei steht insbesondere die Maul- und Klauenseuche im Vordergrund - für besonders besorgniserregend.

Daß aber selbst eine Aufnahme in die EU vor Torheit nicht schützt, belegen die neuesten Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien recht eindrucksvoll. In Rumänien genügt beispielsweise die Milch, die von mehr als einer Million Bauern tagtäglich teilweise noch in antiquierten Blechkannen an die Verarbeitungsbetriebe geliefert wird, bei weitem nicht den allgemein gültigen EU-Anforderungen. Zuvorderst gilt dies für die Keim- und Zellgehalte in der Rohmilch, die als die Qualitätsparameter par excellence gelten. Ferner wird an dem zunehmenden Widerstand der Rumänen gegenüber der aus Brüssel angeordneten Richtlinie über die Betäubung von Schlachttieren offenbar, wie es um die innergemeinschaftliche Harmonie tatsächlich bestellt ist. In dieses Bild passen ebenso die dubiosen Machenschaften der Bulgaren, die Unsummen an EU-Fördermitteln - mitunter für die desolate Agrarstruktur bestimmt - auf kriminelle Weise zweckentfremden.

Doch geht es beileibe nicht nur um landwirtschaftliche oder wirtschaftliche Belange, sondern vielmehr auch um jene Fragen, die etwas mit Religions- und Meinungsfreiheit, mit Demokratie und Menschenrechten zu tun haben, und ferner um politische Systeme, die ein Land in Lethargie versetzen können. So ist es ein offenes Geheimnis, daß in Rumänien die alten KP- und Securitate-Seilschaften noch immer erschreckend gut funktionieren und sowohl die Parteien- und Medienlandschaft als auch die Wirtschaft durchziehen.

Ob es nun daran liegt oder nicht, aber selbst nach mehr als einjähriger vollwertiger EU-Mitgliedschaft zählt das Land noch immer zu den wirtschaftlich schwächsten Staaten des Kontinents - Rumänien ist schlichtweg bettelarm. So liegt das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei 30 Prozent des EU-Durchschnitts und der durchschnittliche Monatsnettolohn von 180 Euro steht im krassen Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten, die sich teilweise deutschen Verhältnissen angenähert haben.

Das Beispiel dokumentiert, daß eine von vielen Aspiranten ersehnte EU-Mitgliedschaft alleine nicht zwingend ein Erfolgsgarant sein muß - weder für das einzelne Land noch für die EU. Denn von dem ursprünglichen Wesen der EG mit einer "harmonischen Entwicklung" und "höheren Stabilität", so unter anderem die einst vertraglich niedergeschriebenen Hauptziele, scheint sich die Union genauso schnell zu entfernen, wie sie wächst.

Foto: Pferdefuhrwerk in rumänischem Dorf: EU-Fördermittel für desolate Agrarstruktur zweckentfremdet

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