© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Ungleichbehandlung als Volkverdummung
Gesundheitspolitik: Die in einer aktuellen Studie beklagte Zwei-Klassen-Medizin wurde von den Politikern selbst geschaffen / Privatpatienten sind lukrativer
Jens Jessen

Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) müssen im Schnitt dreimal so lange auf einen Termin bei einem Facharzt warten wie privat Krankenversicherte (PKV). Das ergab eine Studie des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie (IGKE). Den größten Unterschied gab es bei Magenspiegelungen, auf die Privatpatienten im Schnitt 11,9 Werktage, Kassenpatienten aber 36,7 Werktage warten mußten. Am geringsten war der Unterschied bei den Hörtests, die bei GKV-Mitgliedern nach 6,8 Tagen durchgeführt wurden, während PKV-Patienten bereits 2,2 Tage nach dem Anruf ihren Termin hatten.

Der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, ein Mitautor der IGKE-Studie, hat dabei wieder einmal nach dem Motto "Haltet den Dieb" zugeschlagen. Der IGKE-Direktor und SPD-Bundestagsabgeordnete will die Ungleichbehandlung von privat und gesetzlich Versicherten dadurch beseitigen, daß die Arzthonorare von GKV und PKV gleichgeschaltet werden. Dabei hat er das von ihm und den Politikern geschaffene kafkaeske System der Finanzierung und Honorierung in der GKV mit planwirtschaftlichen Methoden zum Schaden der Versicherten und Ärzte erst geschaffen. Die GKV zwingt die Ärzte in Deutschland, mit einem sogenannten Regelleistungsvolumen (RLV) zu leben, das für die Arztgruppen und die Ärzte der jeweiligen Gruppe Höchstgrenzen für die von ihnen abgerechneten Leistungen (GKV) festlegt.

Die erbrachten ärztlichen Leistungen werden nur bis zu einer vorgegebenen Patientenzahl mit einem festen Wert vergütet. So dürfen Fachärzte für Allgemeinmedizin, Praktische Ärzte, Fachärzte für Innere Medizin, die dem hausärztlichen Bereich angehören, einen Jahresmittelwert von 778 Behandlungsfällen nicht überschreiten. Bei Fachärzten für Augenheilkunde bilden 1.415 und bei Kinderärzten 1.053 Fälle die Grenze. Die Planwirtschaft befaßt sich auch mit einer Ausdehnung der Patientenzahl pro Arzt. Schließlich schafft die demographische Entwicklung zwangsläufig Jahr für Jahr mehr Patienten.

Dafür gibt es wunderbare Fallzahlzuwachsbegrenzungen, die bestimmen, um welchen Prozentsatz die Fallzahl (zusätzliche Patienten) erhöht werden kann. Werden mehr Patienten behandelt, kann das für den Arzt zu Schwierigkeiten führen: Im äußersten Fall werden die von ihm erbrachten Leistungen nicht honoriert. Gute Ärzte haben immer wieder mit der Situation zu kämpfen, daß sie etwa als Hausärzte zu Beginn des dritten Monats eines Quartals 750 Patienten versorgt haben oder noch versorgen müssen. Diese Ärzte werden sich schwertun, die Wünsche von Patienten zu erfüllen, die keine akute Hilfe benötigen. Sie werden nach Möglichkeit in das nächste Quartal "verschoben".

Dazu kommt, daß jeder zusätzliche Patient auch Ansprüche auf eine Verschreibung von Medikamenten erhebt. Ist das Arzneimittelbudget des Allgemeinarztes nahezu ausgeschöpft, wird der Arzt auch hier zurückhaltend agieren. Es sei denn, der Arzt ist bereit, sich einen Regreß einzuhandeln, der zu einem Rückgriff auf sein Honorar führen könnte. Als Arbeitgeber wird er dankbar dafür sein, daß er Privatpatienten behandeln kann, die von Regelleistungsvolumen, Fallzahlbegrenzungen und Arzneimittelbudgets unbelastet sind und mit dazu beitragen, daß er seine Mitarbeiter und die Praxismiete bezahlen kann.

Die IGKE-Studie "Waiting times for elective treatments according to insurance status: A randomized empirical study in Germany" im Internet: www.equityhealthj.com/content/pdf/1475-9276-7-1.pdf

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