© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Shakespeare in Kriegerpose
Impressionen einer Revolte: 1968 im Labyrinth zweier Ausstellungen
Bernd Rabehl

Zwei Ausstellungen in Berlin mühen sich derzeit ab, den Studentenunruhen 1967/68 irgendwie gerecht zu werden. Die Landesbildstelle bietet in Reinickendorf den Bildfolgen über diese Revolte viel Raum, und die Landeszentrale für politische Bildung hat am historischen Ort sogar das alte Amerikahaus hergerichtet. Davor am Eingang wacht ein altes dunkelblaues Ungeheuer. Aus dem Wasserwerfer, Baujahr 1962, röhren Kommandostimmen. Von einer "letzten Warnung" ist zu hören. "Wasser marsch!" schreit ein Einsatzleiter ins Mikrofon. Drinnen im Haus kann in den einzelnen Filmen dieser Wasser-  und Blechpanzer in "Aktion" bewundert werden. Am Kranzler-Eck pustet er im April 1968 einzelne Demonstranten um oder treibt sie in panische Flucht. Vor der Oper am 2. Juni 1967 war er im Einsatz und wirkte als eine Geheimwaffe der Polizei im Aufruhr.

Unzählige Fotos zeigen aufgeregte Gesichter, Kundgebungen, Demonstrationen und das Durcheinander von Massenszenen. Rudi Dutschke ist erkennbar. Der unvermeidliche Rainer Langhans demonstriert seine Lockenpracht. Wo ist denn das Frätzchen der schönen Obermaier? Fritz Teufel zeigt sich im Ledermantel, Dieter Kunzelmann tanzt im bunten Kostüm. Gaston Salvatore hat seinen schmachtenden Blick aufgesetzt. Günther Amendt gefällt sich in Siegerpose.

Was war ihr Anliegen? Welche Rolle spielten sie? Hatte sie der Zufall zusammengetrieben? Warum all die Aufregungen? Die Bilder geben keine Auskunft. Eher ratlos betrachtet der Besucher die Riesenposter der nackten Gestalten aus der Kommune 1. Was wollten sie? Wieso zogen sie sich die Kommunarden aus und poussierten mit ihren "Ärschen"? War es Theaterspiel? Standen sie derartig bar aller Verkleidung auf dem Polizeirevier? Dutschke mit Megaphon. Wozu benötigte er ein derartiges Gerät? Am Bauch hängt ein weißer Helm. Neben ihm Erich Fried, verkleidet als Straßenkämpfer. Shakespeare tritt als Krieger auf. Ein französischer Revolutionär aus fernen Zeiten blickt entschlossen in die Kamera. Sogar ein russischer Panzer in Prag ist zu bewundern.

Und überall Polizei. Hoch zu Pferde wirken sie wie Kreuzritter. Mit den "fliegenden Drachen" wollen sie die Demonstranten einschüchtern - und prügeln auf junge Frauen und Männer ein. Oft sind sie selbst Opfer. Farbbeutel und Steine hinterlassen ihre Spuren auf den verhelmten Gesichtern, auf Uniformen und Mänteln. Die "Greifer" sind nur mühselig im Getümmel zu entziffern. Tschako und Knüppel sind in den Vitrinen ausgestellt. Fahnen, Bauhelme, Poster, Spruchbänder der Demonstranten verweisen auf ein Gegenbild. Dazu Flugblätter, Zeitungen, Bücher. Es wurde also gelesen und diskutiert. Der Streit zwischen der Staatsmacht und der jungen Intelligenz wurde durchaus in Worte und Begriffe gefaßt. Die Mao-Bibel gerät in den Blick. Die Aufrufe enthalten eine schwer verständliche Sprache. Was wollten die Studenten?

Szenen ohne Ende und Anfang. Im Halbdunkel sind die Bildunterschriften schwer lesbar. Es stören die Geräusche, die von einer Leinwand und zwei Monitoren kommen. Bewegliche Bilder sollen die einzelnen Fotos und Ausstellungsstücke ergänzen, sie sollen die Augenblicke zusammenfügen und ein Gerüst von Zusammenhang und Erklärung bieten. Szenen des 2. Juni vor dem Rathaus Schöneberg und vor der Oper werden als Kurzfilm vorgestellt. Der Vietnamkongreß erhält ein eigenes Szenario. Dutschke, ein Kämpfer aus märkischer Heide, märkischem Sand, so ein Sprecher, verspricht Anstand und Würde und schwört der Gewalt ab. Unten auf einer Riesenleinwand: das Wasser­ungetüm im Einsatz, Szenen aus einem vermeintlichen Bürgerkrieg. Bilder und Filme verstärken die Ratlosigkeit.

Der Eingeweihte aus den fernen Tagen kann sich auf den vielen Darstellungen selbst suchen. Er erkennt unzählige Gesichter. Im seinem Kopf spult sich ein Film der Erinnerung ab, der hier nur als Impression verteilt wird. Im Gästebuch schreiben aufgeregte Schüler, daß der Kampf gegen den "Faschismus" fortgesetzt werden muß. Faschismus? Allein derartige Eintragungen bestätigen, daß die jungen Besucher buchstäblich nichts verstanden haben. Achtundsechzig bleibt ein Mythos hinter all dem Krach und Spektakel.

Das Amerikahaus ist heute wie in den alten Tagen verriegelt und verrammelt. Ach ja: Der Protest richtete sich gegen den totalen Krieg in Vietnam, den die amerikanische Groß-  und Schutzmacht zur Pein der Studenten brutal umsetzte. Gerade weil der amerikanische Lebensstil eine hohe Anerkennung gefunden hatte, war das Entsetzen groß. Der Schah von Persien wurde als die Galionsfigur dieser Großmacht vorgestellt. Er verfügte über große Ölreserven. Seine Despotie wurde als "Pfauenthron" verharmlost. Die Gazetten feierten ihn als einen Kaiser aus "Tausendundeiner Nacht". Gegen diese dumme Lüge war der Protest gerichtet.

Im Landesarchiv werden die chaotischen Bilderwände ähnlich inszeniert. Allerdings beleuchten einzelne Polizeifilme, Wochenschauen und Femsehaufzeichnungen die Hintergründe der Ereignisse. Ein Flugblatt über "Rabehl" wird am Eingang ausgestellt. Die mathematische und naturwissenschaftliche Fakultät der Freien Universität fordert die Wiedereinstellung der studentischen Hilfskraft vom Rektor Harndt. Rabehl wurde tatsächlich eingestellt, der neue Kanzler Willy Brandt hatte eine allgemeine Amnestie ausgesprochen. Die unzähligen "Straftäter", ein paar tausend, wurden nicht vor die Gerichte gezerrt. Ihnen wurden sogar die Tore der neuen Universitäten geöffnet. Andere drifteten ab in den Radikalismus der RAF und der kommunistischen Gruppen. Diesen Zwiespalt von Kooptation und Extremismus hätte die Regie der zwei Ausstellungen durchaus erfassen können. Die vielen Bilder allerdings erstarren zur Kulisse der Ratlosigkeit.

Die Ausstellung "68 - Brennpunkt Berlin" ist bis zum 31. Mai täglich von 10 bis 20 Uhr im Amerikahaus, Hardenbergstr. 22-24, zu sehen. Die Ausstellung "Studentenproteste in Berlin 1967/68" läuft bis zum 18. April im Landesarchiv Berlin, Eichborndamm 115-121.

Foto: Rudi Dutschke spricht auf einer Kundgebung in Berlin gegen den Vietnamkrieg, Oktober 1967

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