© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

Trojanische Schafe entschieden den Krieg
Jetzt ausgewertete alte Schriften weisen schon bei den Hethitern durch erste biologische Waffen entfachte Seuchen nach
Michael Manns

Vor 3.300 Jahren wurden im Mittleren Osten bereits Bakterien als biologische Kampfmittel eingesetzt. Das schließt der kanadische Mikrobiologe Siro Trevisanato aus Schriften der Hethiter, deren Reich damals von der heutigen Türkei bis in den Norden Syriens reichte.

Im Krieg ist jedes Mittel recht. Und das nicht erst, seit die moderne Naturwissenschaft die B- und C-Waffen ermöglichte. Die gewaltätige, skrupellose, ja hinterlistige Seite des Menschen ist uralt, wenn nicht gar eine Konstante in der Natur des Homo sapiens. Die Rousseausche Vorstellung vom friedlichen, romantischen Urzustand des Menschen ist ein Traum. So tauchte Herakles seine Pfeile in das giftige Blut der besiegten Hydra. Gifte, die man aus Pflanzen gewann oder Schlangen abzapfte, wurden in die Brunnen der Gegner geleitet. Pestinfizierte Kadaver wurden über die Stadtmauer katapultiert, um bei den Belagerern eine Epidemie hervorzurufen - so 1346 in Kaffa am Schwarzen Meer.

Eine weitere Bio-Waffe hat Trevisanato entdeckt - infizierte Schafe, die Seuchen bei Menschen auslösen. Die Geschichte beginnt in Simyra, eine Stadt der Phönizier im heutigen Grenzgebiet zwischen dem Libanon und Syrien. 1335 v. Chr. empfängt der ägyptische König Echnaton Briefe aus der Stadt. Sie berichten von einer furchtbaren Krankheit, die Invalidität, Siechtum und Tod bringt. Der Wissenschaftler Trevisanato ist überzeugt: Es war die Hasenpest. Zehn Jahre später fallen die Hethiter in die geschwächte Region ein und erbeuten Vieh - und damit die Tularämie (auch Hasenpest genannt). Sie wird durch das Bakterium Francisella tularensis ausgelöst und kann von Tieren wie Hasen und Schafen durch Zecken auf den Menschen übertragen werden. Die Symptome: Geschwüre und Ateminsuffizienz. Unbehandelt sterben etwa 15 Prozent der Infizierten.

Die Hethiter waren zu dieser Zeit eine Großmacht in dieser Region. Sie beherrschten zeitweise ganz Kleinasien und Syrien, grenzten an die nördlichste Provinz des ägyptischen Reiches. Sie eroberten Babylon und Aleppo.

Jahrelang sollten sie jetzt von Epidemien drangsaliert werden. Nach alten Berichten soll die Seuche zwanzig Jahre lang gewütet haben. Die Lage war so verzweifelt, daß König Mursili II. in mehreren "Pestgebeten" die Götter anruft. Der Dichterkönig fragt nach der Schuld, die auf seinem Volk lastet, und versteht die Höhe der Strafe nicht. Die Gebete werden in ihrer Eindringlichkeit von Theologen mit dem Buch Hiob verglichen.

Das waffenstarrende Reich der Hethiter war kaum noch abwehrbereit. Es war umzingelt von neidischen und kriegslüsternen Nachbarn und Vasallen. Das Volk der Arzawan (aus dem Westen Anatoliens) wittert Gelegenheit und schnelle Beute. Sie planen eine Invasion auf das Großreich. Doch die Geschichte sollte sich wiederholen. Denn jetzt bricht eine todbringende Seuche bei den Invasoren aus.

Was war passiert? Trevisanato glaubt: Die Hethiter haben ihnen kranke Schafböcke zugeschickt, die trugen die tödliche Bakterienfracht wie Trojaner in ihrem Körper. Das versucht er in seiner Untersuchung im Journal for Medical Hyptheses (Nr. 69) nachzuweisen. Dabei zieht er seine Schlußfolgerung aus alten Schriften, die vom plötzlichen Auftauchen frei herumlaufender Schafböcke beim Nachbarvolk der Arzawa berichten. Die Arzawa fingen sie arglos ein und begannen mit ihnen in ihren Dörfern die selbstmörderische Zucht, brieten und aßen das Fleisch. "Bei den Hethitern muß jemand die Idee zu dieser Kriegslist gehabt haben. Sie wußten offenbar, daß die Plage von Haustieren auf Menschen übertragen wurde", so Trevisanato. Die hethitische Wunderwaffe in letzter Sekunde hatte Erfolg. Bei den Arzawa brach eine tödliche Seuche aus, und sie wurden so geschwächt, daß ihre Versuche, das Hethiterreich zu erobern, fehlschlugen. Nach zwei Jahren gaben sie den Plan auf.

Für das stolze Hethiterreich, einst die dritte Großmacht zu dieser Zeit neben Babylonien und Ägypten war das aber nur eine kurze Verschnaufpause im Überlebenskampf. Um 1200, am Ende der Bronzezeit, wird ihr Reich zerstört - zeitgleich mit Troja. Die Gründe sind immer noch ungeklärt. Sie geben ihre Hauptstadt Hattuscha (heute Büyükkale) auf und hinterlassen gigantische Archive mit Zehntausenden Tontafeln in akkadischer Keilschrift: Orakeltexte, Kultanweisungen Urteilssammlungen, Verträge und Staatskorrespondenz. Eine unerschöpflich Fundgrube für Wissenschaftler - wie eben auch Siro Trevisanato.

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