© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Globalisierungskapitäne auf großer Fahrt
Lobbyismus: Mit einer Hochglanzbroschüre versuchen Wirtschaftsvertreter und Politiker Stimmung für den EU-Beitritt der Türkei zu machen
Michael Paulwitz

Hinter dem angestrebten EU-Beitritt der Türkei stecken massive ökonomische Lobbyinteressen. Wer es nicht glaubt, der nehme die vor einigen Tagen erschienene FAZ-Beilage der "Initiative Moderne Türkei" des "Verbands türkischer Industrieller und Unternehmer" zur Hand: Auf zwanzig Hochglanzseiten wollen uns da ausgewählte Aushängeschilder der deutschen Wirtschaft nebst den üblichen Verdächtigen aus der Politik erklären, "warum die Türkei zu Europa gehört". Die Logik bleibt bei soviel Euphorie gern mal auf der Strecke.

Man solle bei dem Thema überhaupt nicht so viel über Politik reden, meint der jetzige Industrie- und vormalige EU-Beitrittskommissar Günter Verheugen. Die ökonomische Seite werde "leider völlig unterschätzt". Als wäre es nicht in erster Linie eine politische Frage, wenn die Grenzen Europas weit nach Asien und in den Nahen und Mittleren Osten vorgeschoben werden!

Doch Berater-Überflieger wie Roland Berger sehen nur den "großen Markt", aber nicht die großen Probleme: das Wohlstandsgefälle, die langen unsicheren Grenzen mit dem Kaukasus, Irak und Syrien. Mit Petitessen wie der erwartbaren Welle illegaler Einwanderung, mit der Vergemeinschaftung ungelöster innerer Konflikte der Türkei und ihrer Verwicklung in regionale Krisenherde brauchen sich Wirtschaftslenker schließlich nicht zu beschäftigen. Die sehen nur, so wie Arend Oetker und der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, die Chance, am türkischen Handels- und Produktivitätspotential noch besser mitverdienen zu können.

Daß die deutsche Wirtschaft auch ohne türkische EU-Mitgliedschaft schon jetzt prächtige Geschäfte mit den Boom-Regionen des Landes am Bosporus macht, reicht offenbar nicht aus.

Man hätte es gerne noch einfacher, und vorsichtshalber unausgesprochen im Hinterkopf steckt sicherlich auch die Option, mit freundlicher Unterstützung der EU noch mehr Arbeitsplätze in noch billigere Gegenden zu verlagern. Schließlich wird inzwischen sogar der Rumäne immer frecher mit seinen Lohnforderungen, wie derzeit Re-nault mit seiner Tochter Dacia erfahren muß. Da geht man doch lieber gleich ins strukturschwache Anatolien. Daß im Gegenzug die türkischen Armenhäuser in den EU-Umverteilungsapparat integriert werden müßten, braucht die Globalisierungskapitäne nicht zu kümmern: Solche Folgelasten werden wie gehabt bei den europäischen Steuerzahlern sozialisiert - privatisiert werden nur die Gewinne. Man fragt sich nur, was ein gestandener Sozialdemokrat wie Franz Müntefering in diesem Lobbyisten-Umfeld verloren hat.

Edzard Reuter, Ex-Vorstandsvorsitzender von Daimler-Benz, bereichert den Chor der Lobbyisten um eine kuriose Note: Er sei ja in der Türkei aufgewachsen, weil seine Eltern dorthin vor der "Nazi-Barbarei" emigriert seien, doziert Reuter. Die Türkei habe sich damals schon "auf den Weg gemacht, europäisch zu werden". Heute freilich sind es die Untertanen der Türkei, die scharenweise in Deutschland Schutz vor staatlicher Diskriminierung als Kurden, Aleviten oder Christen in ihrer Heimat suchen. Mit der Europäischen Union hat beides wenig zu tun.

Weder für sich noch zusammengenommen vermögen die Argumente des türkischen Unternehmerverbands und seiner deutschen Sekundanten zu überzeugen. Die Türkei muß in die EU, weil dort wichtige Energieleitungen und Transportwege verlaufen: Warum dann nicht Weißrußland? Die kulturellen Bande reichten bis nach Rom und in das "multiethnische Osmanische Reich" zurück: Ging es da nicht eher um Krieg und Eroberung? Daß der Türkei-Beitritt zur EU für beide Seiten eine "Bereicherung" wäre, wird auch durch noch so häufige Wiederholung in Hochglanzbroschüren nicht wahrer.

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